ANDREA AUINGER und VERA BORRMANN stellen Überlegungen dazu an, was Sinn eigentlich bedeutet.
„Es liegt im Wesen des Menschen, dass er nach Sinn fragt“, schrieb bereits Viktor Frankl. Doch wann und wie finden wir Sinn im Kontext von Arbeit? Die Antwort darauf hängt von vielen Faktoren ab.
Was bedeutet eigentlich sinn-voll? Die Frage nach dem Sinn im Kontext unserer Arbeitswelt ist eine sehr komplexe. Sie hängt mit unserer Persönlichkeit zusammen und mit den Strukturen und Systemen, in denen wir leben und arbeiten. War für viele Menschen bisher ein klassischer Berufsweg vorgegeben (Karriere, Einfluss oder Geld als Existenzsicherung…), so stellen sich mittlerweile Fragen nach der Sinnhaftigkeit der Tätigkeit, der eigenen Selbstwirksamkeit, der Arbeitsgestaltung und den Arbeitsmodellen. Einkommenshöhe und Status werden von „Experience Facts“, wie Werten, Sinnhaftigkeit und Vereinbarkeit mit dem Privatleben, in Frage gestellt – und teilweise auch schon abgelöst.
Eine Gegenbewegung zur traditionellen Arbeitswelt zeigen Keywords wie „Corporate Social Responsibility“, „New Work“, „Remote Work“, „Work-Life-Blending“, „De-Growth“ Postwachstumsbewegung. Sie sind stark im Kommen und suggerieren uns „mehr Sinn und Freiheit“. Doch reicht das, um unsere Arbeit als sinnvoll zu erleben?
Eine kleine Übung: Sinn erleben
Schließen Sie die Augen, atmen Sie dreimal tief durch und denken Sie kurz daran, welche drei Themen für Sie derzeit Sinn machen oder sinnvoll sind. Wie fühlen Sie sich, wenn Sie daran denken? Nehmen Sie ein Blatt Papier und schreiben Sie die drei Themen groß auf und daneben ein Gefühl, das dabei spürbar wird.
Sie werden wahrscheinlich feststellen, dass Sie zu jedem der drei Dinge auf Ihrem Blatt Papier einen Bezug, vielleicht ein Bild oder eine konkrete Situation erinnern. Dieses organismische Fühlen ist nichts Rationales, sondern eine tiefe körperliche Erfahrung. Diese Resonanz spüren oder erfahren wir, noch bevor wir ihr eine Bedeutung geben. Sinn erleben wir, wenn wir etwas TUN, das Bedeutung für uns hat.
Und nun überlegen Sie: Wie viel Zeit nehmen Sie sich tatsächlich für die notierten Aspekte, die Ihnen in Ihrem Leben wichtig sind?
Sinn-Leere und Transformation
Wir alle tragen ein Sinn- und Wertesystem in uns, das durch Eltern, Lehrer, die Gesellschaft uvm. Geprägt wurde. Dieses System bringen wir in unser Berufsleben mit. Haben wir Glück, stimmt unser eigenes Sinn- und Wertesystem mit dem unserer Firma gut überein. Weitaus häufiger jedoch wandelt sich unser Sinn- und Wertesystem im Laufe der Zeit mit unseren beruflichen Erfahrungen und Entwicklungen – und unsere Arbeit wird als zunehmend Sinn-leer und unerfüllt empfunden. Wenn die eigenen Werte mit denen des Arbeitgebers/der Firma nicht mehr zusammenpassen, wird Arbeit zur Belastung. Den Sinn im beruflichen Alltag zu finden bedeutet nicht, dass eine Leistung, ein Purpose-Statement oder Mission Briefing erfüllt werden muss, wenn es uns als nichtsinnig erscheint.
Um gut in die eigene Selbstführung zu kommen bzw. zu bleiben sind Resilienzfaktoren essenziell – im Besonderen das Erleben von Selbstwirksamkeit. Hier ist es ungemein hilfreich, das eigene Innenleben kennenzulernen, zu wissen bzw. zu spüren: „Wie ticke ich?“, „Welche Werte lebe und verkörpere ich?“, „Was erlebe ich als sinnvoll?“, um Klarheit im Denken und Tun zu bekommen.
Sich den eigenen Sinn zu „lehren”, den eigenen inneren Kompass kennenzulernen und ihm auch zu folgen, braucht Mut.
Es braucht weder eine Pandemie noch Krieg, um die eigene Lebenssituation zu überdenken. Es reichen persönliche oder berufliche Herausforderungen, um in eine Sinn-Krise zu gelangen, die innerliche Leere auslöst. Erst durch das Erkennen der Sinn-Leere des Bisherigen kommen wir in die Veränderung, in den persönlichen Change – und Organisationen in die Transformation. Wenn das Alte keinen Sinn mehr ergibt, muss sich etwas ändern und wir beginnen, uns einen neuen Sinn zu lehren.
Resonanz als Sinn-Lehre
Change und Transformation brauchen Zeit. Auch wir brauchen Zeit für unsere innere Sinn-Lehre, die uns das Er-Spüren, Er-Leben und Verankern ermöglicht und das verankerte Wissen in unserem Körper wieder aktiviert.
Die Komplexität unserer (Arbeits-)Welt ist längst nicht mehr beherrschbar, und das Erleben von Sinn lässt sich nicht durch ständige Leistungssteigerung, bloße Achtsamkeit oder andere „Alibi-Aktionen“ erreichen. Es braucht eine achtsame und sinnzentrierte Führungs- und Handlungsweise, die eine Leitlinie im Umgang mit den Herausforderungen und Transformationen unserer Zeit darstellt. Transformation braucht erlebte und gespürte Resonanz, ein spontanes inneres Feedback unseres Körpers, welches wir sehr ernst nehmen sollten.