Franz Auinger beobachtet, dass Umbrüche oft mit pflichtorientierter Schwere einhergehen, und denkt über mehr Leichtigkeit und spielerische Zugänge in der Transformation nach.
Friedrich Schiller war überzeugt, dass Menschen für die Entfaltung ihrer Potenziale Freiheit benötigen. Ein fiktiver Dialog zwischen ihm und einer Führungskraft ermutigt zum Ausbruch aus erschöpfenden Zwängen.
Es geht um sehr viel. Umbrüche zwingen uns in vielen Bereichen zu einer grundlegenden Transformation. Unternehmen sind dabei Räume, in denen die großen Fragen verhandelt werden und die so zu guten, nachhaltigen Entwicklungen beitragen können, vielleicht sogar müssen.
Rasch stellt sich bei den aktuellen Entwicklungen, Anforderungen und Zwängen jedoch eine pflichtorientierte Schwere ein, die in der Sache und gemäß den Bedrohungen durchaus berechtigt scheint. Ängste engen aber ein, begrenzen uns in unserer Kreativität und Wirksamkeit, verdichten unsere Arbeitsprozesse und unser diesbezügliches Erleben.
Frei nach Schiller1: Das Rad braucht Spiel, damit es sich drehen kann. Der Mensch erfährt Transformation und Wandlung im Spielerischen, in der Freiheit, im Ausbrechen aus Zwängen. Ein interessanter Gedanke, der es wert ist, auf die Organisations- und Personalentwicklung angewandt zu werden.
Sehen wir uns das einmal in einem fiktiven sokratischen Dialog zwischen Schiller und einer Führungskraft aus dem Jahr 2023 an:
SCHILLER Ist die Freiheit nicht eine Sehnsucht, die alle Menschen haben und nach der sie streben? Und ist sie nicht auch Voraussetzung und Fähigkeit für die Entfaltung der eigenen Individualität und Kreativität?
FÜHRUNGSKRAFT Ja, sicher, aber wir sind doch in so vielen gesellschaftlichen und beruflichen Zwängen gebunden. Wo haben wir da Freiräume? Zwischen beruflichen Verpflichtungen, Stress, Partnerschaft, Kindern, … Die existenziellen Fragen werden immer fordernder!
SCHILLER Im Sinne von Kant könnte man sagen: Ja, die Pflicht ruft. Aber ist die Pflicht nicht genau das, was Kreativität, Innovation und Weiterentwicklung hemmt, abstumpft?
FÜHRUNGSKRAFT Dem pflichte ich voll und ganz bei! In der wachsenden Dichte der Anforderungen der heutigen Zeit und zugleich der zunehmenden Verunsicherung, Verängstigung und Orientierungslosigkeit wird jede neue Idee oft im Keim erstickt.
SCHILLER Das kenne ich gut. Zu meiner Zeit war Europa mitten im Umbruch von feudalen, absolutistischen Herrschaftssystemen hin zu demokratischen Ansätzen. Verwerfungen und gewaltvolle Auseinandersetzungen mit hohen Verunsicherungen, Ängsten und Leiden waren die Folge. Wir hatten soviel Hoffnung in die Französische Revolution gesetzt. Und wo blieb da die Agape, das Erhabene und – im positiven Sinn gemeint – das Überhöhte? Wie gelingt es dem Menschen in solchen Zeiten über das rein Sinnliche hinaus zum Sinnvollen zu gelangen? Wie gelingt es, Neues, Spannendes zu entdecken, wenn wir im Existenziellen, Determinierenden gefangen sind?
FÜHRUNGSKRAFT Wahrscheinlich wenig oder gar nicht. In diesen Zeiten ist wahrscheinlich alles Schöne und Erhabene verloren, die Revolution frisst dann letztlich ihre Kinder. So wie auch heute in Unternehmen: Ist die Krise da, geht’s nur mehr ums Überleben.
SCHILLER Bekommt also in der Not und Krise der Formtrieb, also das Körperliche, Existenzielle, Physische die Überhand? Verdrängen dann nicht die Zwänge, Begehrlichkeiten und Egoismen das, was den Menschen menschlich macht?
Muss es uns aber nicht gerade in den dunkelsten Zeiten gelingen, Freiräume für das Menschliche zu öffnen und damit für das Schöpferische, Erneuernde?
FÜHRUNGSKRAFT Ja sicherlich, aber der Mensch neigt in der Bedrängnis zur Verdichtung, Verengung und dazu, nur mehr zu funktionieren.
SCHILLER Die erste Reaktion, der Impuls geht bestimmt in diese Richtung der Begrenzung und Verengung. Aber, damit sich das Rad des erfüllten Lebens drehen kann, benötigt es da nicht ein Spiel? Ohne Spiel ist es doch festgefahren und unbeweglich?
FÜHRUNGSKRAFT Ja, dem stimme ich zu.
SCHILLER Wird der Mensch nicht erst zum Menschen, wenn er spielt? Wenn die reine Zweckhaftigkeit in den Hintergrund tritt und ein wirklicher Freiraum entstehen kann. Sollten wir nicht beidem einen Platz geben: dem Ernsthaften der Gesamtentwicklung und dem spielerischen Zugang? Erfolgt die Transformation nicht viel mehr über die Freiräume des absichtslosen Spieles, vor allem in der Entfesselung, der kunstvollen Auseinandersetzung?
1 Quelle: Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen, Reclam, 2000
Fragen zur Selbstreflexion
Wir alle sind gefordert, in diesen Umbrüchen und Zwängen beweglich
zu bleiben oder wieder zu werden, daher …
- Was könnte in unserem Alltag das Spiel sein, das unser Rad in diese andere Bewegung bringt, wir in eine kreative und zukunftslösende Haltung und Handlung kommen? Wie gelingt es, die wertvollen Freiräume und die damit verbundene Autonomie zu gewinnen?
- Wie kann uns das als Verantwortungs- und Entscheidungsträger:in in unserer eigenen Selbstführung und Selbstorganisation gelingen?
- Wie sollte Führungsarbeit ausgerichtet und aufgestellt sein, damit Selbstverantwortungs- und Autonomieräume der Mitarbeitenden gestärkt werden?
- Welche Strukturen unterstützen dabei, Organisationen in Bewegung zu bringen und zu halten? Wie gelingt es, ihren eigentlichen Zweck der Unterstützung des kollaborativen, zukunftsorientierten Arbeitens wieder zu gewinnen