Ein Quergang zum Thema Wiedererlangung der Handlungsfähigkeit
Wir gehen wieder mal quer, beleuchten ein Thema aus den verschiedensten Blickwinkeln. Die Coaches und BeraterInnen Andrea Auinger, Anneliese Aschauer und Klaus Theuretzbacher zum Thema „Handlungsfähig werden, sein und bleiben“.
Wann geraten unsere KlientInnen in Gefahr ihre Handlungsfähigkeit zu verlieren?
Anneliese Aschauer: Wenn die Gefahr besteht, dass Kontrolle und Steuerungsinstanz, wichtige Bindungen und die Selbstwirksamkeit verloren gehen. Das können berufliche Veränderungssituationen oder Krisen der Lebensveränderung sein.
Andrea Auinger: Es gibt das Modell der fünf Säulen nach Petzold, wonach uns Gesundheit, Beruf, Familie/soziales Netzwerk, Werte und die finanzielle Absicherung stützen. Der Zusammenbruch passiert, wenn zwei oder mehr Säulen einbrechen. Wenn nur eine davon ins Wanken gerät, kann man meist in seiner Handlungsfähigkeit bleiben.
Klaus Theuretzbacher: Im betrieblichen Kontext sind viele KlientInnen gesundheitlich noch im grünen Bereich. Sie erleben sich jedoch im System als nicht mehr handlungsfähig. Struktureller Sumpf, Unklarheiten und Konflikte, zu wenig Orientierung und zu viele Anforderungen.
Anneliese Aschauer: Ein Phänomen, das man z.B. bei Projektleitern findet: hohe Verantwortung, aber wenig Gestaltungsmöglichkeiten. Die wichtigen Entscheidungen werden woanders getroffen, aber letztlich bin ich als Projektleiter verantwortlich dafür, dass die Ziele erreicht und die Deadlines eingehalten werden. Handlungsunfähigkeit hat viel mit erlebter Ohnmacht zu tun. Das Gefühl, ich bin einer Situation ausgeliefert. Da stellt sich die Frage: Was davon sind systembedingte Unveränderbarkeiten, wie kann ich mich damit arrangieren? Und was ist subjektive Wahrnehmung, wo ich Handlungsmöglichkeiten nicht mehr erkennen kann? Die Handlungsfähigkeit zu erhalten bedeutet: Wie komme ich aus der Ohnmacht heraus?
Woran merkt man den Verlust der Handlungsfähigkeit?
Klaus Theuretzbacher: Das wirkt sich aus in der typischen Stresshaltung und Überforderungsreaktion: Die eigenen Fähigkeiten, Kompetenzen und Ressourcen stehen nicht mehr zur Verfügung. Man kann nicht mehr aus dem Vollen schöpfen, sieht sich nicht mehr raus.
Anneliese Aschauer: Man ist nicht mehr in der Selbststeuerung, unwillkürliche Dynamiken gewinnen die Oberhand. Man hat den Eindruck, andere Kräfte, aber auch eigene Ängste und unwillkürliche Muster übernehmen die Regie, man ist nicht mehr „Herr“ seiner Selbststeuerung.
Klaus Theuretzbacher: Der Anspruch, stets Herr dieser unwillkürlichen Prozesse zu sein, ist meines Erachtens eine Illusion. Es geht vielmehr darum, eine gute Passung dessen, was ich bewusst will, und der unwillkürlich ablaufenden Vorgänge zu erreichen.
Anneliese Aschauer: Da braucht es einen bewussten Umgang mit sich und Selbstreflexion. Was sagen mir mein Gefühl, meine Ängste, mein Körper, wie kann ich mich wieder beruhigen und stabilisieren? Wie richte ich meine Achtsamkeit so aus, dass ich mit diesen unwillkürlichen Prozessen gut umgehen kann?
Andrea Auinger: Dazu muss ich es wahrnehmen und auch meine kritischeren Persönlichkeitsanteile akzeptieren und integrieren. Sich drüber zu schummeln, zu sagen „Passt schon, das kenne ich eh, das bin halt ich“, bringt nichts.
Anneliese Aschauer: Ebenso wenig mich zusätzlich selbst zu verurteilen „Wieso kann ich in der Situation nicht cool sein, nicht souveräner damit umgehen?“ Hilfreich ist es zu sagen „So geht es mir jetzt, so ist es“. Zu akzeptieren, dass ich an meine Grenzen komme. Wenn ich etwa in einer massiven betrieblichen Veränderungssituation bin und anerkennen kann, dass mich das hochgradig belastet, dass ich nicht mehr souverän bin, erleichtert mir das, einen konstruktiven Umgang damit zu finden. Im Gegensatz zum Selbstvorwurf „Warum bin ich nicht stark genug?“
Andrea Auinger: Oft ist es sinnvoll, einen gewissen Teil der Kontrolle und der Anspannung loszulassen. Vor allem dort, wo ich nicht mehr steuern kann, wo ich an den Grenzen meiner Möglichkeiten angelangt bin. Wenn ich zu viel kontrolliere, dominieren gerade dadurch die hemmenden Persönlichkeitsanteile und ich verliere meine Handlungsfähigkeit erst recht.
Anneliese Aschauer: Hinter dem Bedürfnis nach Kontrolle steht das Bedürfnis nach Sicherheit. Das zeigt sich etwa in übermäßigem Perfektionismus bzw. übermäßigem Aktionismus. Nur verliert man dabei die Handlungsvariabilität. Das Vertrauen in die Welt, dass sich die Dinge wieder richten werden, ist abhanden gekommen.
Klaus Theuretzbacher: Auf Unternehmensebene genauso. Da werden die Kontrollhebel immer stärker angezogen, in der Illusion, alles kontrollieren, alles steuern zu können. Es klingt paradox: Durch das Übermaß an Steuerung und Kontrolle verliert die Unternehmensleitung letztlich ihre Steuerungsfähigkeit und Kontrollfähigkeit.
Anneliese Aschauer: Wann werden Teams handlungsunfähig? Beim Individuum geht es um die Integration von Persönlichkeitsanteilen, bei Teams sind die Systemteile einzelne Menschen. Kritisch wird es, wenn die Menschen nicht gut in Kontakt und Kommunikation sind, nicht gut integriert sind, wenn Konflikte eskalieren. Die Führungskraft wäre hier gefordert wie der Regisseur eines Bühnenstücks – zu sagen, „Wie gehen wir mit diesen erstarrten und destruktiven Mustern um?“
Klaus Theuretzbacher: Teams, Abteilungen und Unternehmen würden selbst nie sagen, dass sie handlungsunfähig sind. Sondern: „Wir tun ja eh die ganze Zeit, wir rennen wie die Blöden“. Aktionismus statt verantwortungsvollem, zielgerichtetem Handeln.
Was ist hilfreich, um Einzelpersonen, Teams und Organisationen wieder hin zur Handlungsfähigkeit zu begleiten?
Klaus Theuretzbacher: Räume zu schaffen für das Gewahr-Werden und für Reflexion: Was läuft ab und was geht ab? Eine Auszeit nehmen, hilfreiche Distanz und damit andere Perspektiven ermöglichen, sind die Grundvoraussetzung. Aus der Betroffenheitsfalle aussteigen und neue Zuversicht gewinnen, damit auch zu den eigenen Ressourcen und Möglichkeiten, zur eigenen Kraft zurückfinden und daraus eine attraktive Zukunftsperspektive entwickeln.
Anneliese Aschauer: Erkennen, was mir das Leben da gerade an Lernchancen bietet, z.B. bei Überforderung: Was waren die Wendepunkte, wo schon eine Ahnung da war und ich trotzdem über meine Grenzen gegangen bin? Gut in Kontakt sein mit meiner Intuition.
Anerkennen, dass sich im Leben nicht alles steuern lässt. Da kann man nichts tun außer: Was ist der nächste Schritt? Was kann ich heute, morgen, diese Woche tun? Den nächsten Schritt kann ich immer gehen, der steht mir immer zur Verfügung. Das gibt Sicherheit in Krisen- und Veränderungssituationen.
Oft kann man in ganz anderen Lebensbereichen ansetzen. Tun, was man immer schon mal machen wollte: eine Reise machen, ein Instrument lernen, eine Ausbildung beginnen und dadurch wieder in die Steuerung und zur Lebensenergie kommen.
Es geht um Achtsamkeit, um Innehalten und um Neuausrichtung. Diesen Dreierschritt verstehe ich auch für mich als Leitlinie. Auf die Bereiche hinschauen, die mir unangenehm sind, diese annehmen und ruhig werden. Mich neu auszurichten kann auch heißen, etwas ganz anderes zu tun, mal als erstes laufen zu gehen. Das löst vielleicht nicht das Problem selbst, bringt mich allerdings wieder in eine bessere Stimmung.
Andrea Auinger: Hilfreich ist das Vertrauen ins eigene Gefühl zu stärken. Im Nachhinein sagt man sich oft „Eigentlich hab ich es eh gespürt, mein Bauch hätte es mir eh gesagt, aber …“. Gut in sich hinein zu horchen, in sich selbst Vertrauen entwickeln.
Bei kleinen Blockaden, z.B. wenn man ein Meeting moderieren und die Leute begrüßen soll und man bekommt einen Schweißausbruch oder feuchte Hände, helfen Methoden zur Selbstberuhigung, wie etwa Entspannungstechniken oder die EFT-Klopftechnik zur Lösung von Blockaden. Der Klient hat ein Instrument, ein Werkzeug in der Hand, den Stress zu mindern.
Klaus Theuretzbacher: Im Coaching ist es oft wichtig einen Stimmungsumschwung zu ermöglichen um zu einer konstruktiven inneren Haltung zu gelangen. Wieder zu sehen, hoppla, ich bin was wert, da ist nicht nur Morast, ich bekomme wieder Zugang zu meinen Fähigkeiten und meinem Ideenreichtum. Als Coach habe ich das Vertrauen, dass der Klient aus dieser konstruktiven inneren Haltung heraus die nächsten Schritte entwickeln kann.
Andrea Auinger: Durch die professionelle Begleitung im Coaching, in der Beratung oder Therapie bekommen die Menschen Sicherheit und können sich selbst erfahren und erforschen, zu den eigenen Gefühlen, zur eigenen Intuition finden, sich anders wahrnehmen und letzten Endes Neues daraus entstehen lassen.
Anneliese Aschauer: Oft geht es darum, nicht in der Emotion stecken zu bleiben, sondern den gesunden Verstand, die erwachsene Persönlichkeit wieder ins Spiel zu bringen. Ich sehe unsere Aufgabe als BegleiterInnen auch darin, Zuversicht zu geben: „Glaube an dich. Ich bin überzeugt, dass du diese Situation gut bewältigen und daraus gestärkt hervorgehen wirst.“
Andrea Auinger: Die Möglichkeit einer guten Zukunft spüren und die Lösung in sich selbst entwickeln.
Andrea Auinger, Psychotherapeutin iAuS, Coachin
Anneliese Aschauer, Organisationsberaterin, Coachin, Klinische und Gesundheitspsychologin
Klaus Theuretzbacher, Coach und Organisationsberater, Arbeits- und Organisationspsychologe