Strukturen und Regelungen sind für Organisationen überlebenswichtig, können aber zugleich als immense Energiefresser den Weg zu Kund*innen steinig werden lassen. Wie kann Organisationale Hygiene am Point of Operation für eine kraftvolle Wertschöpfung sorgen?
Es ist offensichtlich, dass Mitarbeitende (MA) viel Zeit mit Dingen verbringen, deren Mehrwert für Kund*innen zweifelhaft ist. MA sind mit Angelegenheiten beschäftigt, die sie als sinnlos im Sinne des Unternehmenszweckes empfinden. Meetings, Briefings, Kontrollschleifen, Reports etc. zwingen sie dazu, ständig zwischen internen Strukturerfordernissen und Kundenbedürfnissen zu balancieren.
Angesichts der heute vorherrschenden Käufermärkte und der Realität des Ringens um geeignete Anbieter*innen von Qualifikationen ist eine solche Konzentration auf die aus einer internen Logik heraus definierten Notwendigkeiten pure Ressourcenvernichtung. Die Kernfrage lautet: Wie viel Struktur und Regelung braucht es im Interesse einer Fokussierung auf MA und Kund*innen wirklich?
Damit ist der Maßstab klar. Die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit von Strukturen müsste sich an ihrem Beitrag für die Erzielung des Geschäftszwecks messen lassen. Konsequenterweise wäre zu fragen: Woran hakt es in der Wertschöpfung? Was hält die Menschen vom Arbeiten mit Kund*innen ab?
Pragmatischer Zugang
Ganz pragmatisch gälte es in Bezug auf solche Praktiken „Wertschöpfungshygiene“ als zentrales Element der Unternehmenssteuerung zu verankern. Dabei würden alle Elemente der Unternehmenspraxis darauf geprüft, ob sie dazu beitragen, die Kundenbedürfnisse zu befriedigen bzw. die Mitarbeitenden daran hindern, den Wertschöpfungsbeitrag zu sichern.
Was es also braucht, ist eine Inventur
- der gängigen Management-Praktiken, wie Budgetprozesse, Meeting-Regeln, Meilensteine, Reportings, Plan-Ist-Vergleiche, Kostenstellen, Wasserfall-Projektmanagement;
- aber auch etablierter HR-Instrumente, wie MA-Befragungen, MA-Beurteilungen, MA-Bindungs- und Personalentwicklungsprogramme, Prämienregelungen, Stellenbeschreibungen, Zielvereinbarungen;
- im Weiteren von Reglungen, wie Reiserichtlinien und Regelungen für Dienstwagen, Überstunden, Unterschriften, Urlaub;
- und schließlich auch kultureller Artefakte, wie Dresscodes, Meeting-Kultur, Arbeitszeitverhalten oder Parkplatzregelungen.
Rollenklarheit als Hebel
Konflikte in der betrieblichen Wirklichkeit sind oft Ausdruck und Folge einer strukturellen Ungeklärtheit der Arbeitsbeziehungen. Unzureichend geklärte Rollen haben das Potenzial, Energie der MA derart zu binden, dass Kund*innen auf der Strecke bleiben. Es wird von Führungskräften oft unterschätzt, wie notwendig klare Rollen sind, damit die Energie auf den Wertschöpfungsbeitrag ausgerichtet wird. Anstelle der strukturellen Klarheit wird eine diffuse, fast rührende Sentimentalität der Beziehungspflege gelebt. Als hilfreich erweist sich stattdessen die Auseinandersetzung mit folgenden Fragen:
- Was ist der Zweck der Rolle?
- Welche Ergebnisse werden von Rollenträger*innen erwartet?
- Welche Entscheidungen werden von Rollenträger*innen getroffen?
- Was sind „Nicht-Aufgaben“ der Rolle?
- Welche Leistungsbeziehungen bestehen zu Schnittstellenpartner* innen?
Warum Mindset-Arbeit?
Nun wäre es zu kurz gegriffen, würde man direkt Strukturen und Regelungen neu ordnen oder sich mit der Rollenklärung zufriedengeben. Die eigentliche Ebene der Veränderung ist die der Überzeugungen, somit der verinnerlichten organisationalen Glaubenssätze, die den Strukturelementen und dem damit verbundenen Verhalten implizit zugrunde liegen.
Viele Glaubenssätze in hierarchisch geprägten Umfeldern verbindet noch immer eine übergeordnete Überzeugung, nach der Unternehmen deterministisch steuerbare Maschinen sind. In Gegenwart komplexer Märkte sind mit solchen Glaubenssätzen verbundene Praktiken jedoch immer öfter ein Hindernis für die Wertschöpfung. Vom Vorgehen her wäre es denkbar, zunächst die Organisation dahingehend zu hinterfragen, auf welchen Überzeugungen sie gründen. Anschließend werden Praktiken gesucht, die mit diesen Glaubenssätzen zusammenhängen. Weiters kann überlegt werden, wie die Annahmen, z.B. im Sinne selbstorganisierten Handelns, zu verändern wären. Im dritten Schritt sollten die Strukturelemente entsprechend angepasst werden, sodass sie mit Blick auf die Kund*innen hilfreich sind.
Selbstverständnis klären
Die beschriebenen Veränderungsimpulse werden nur dann das Potenzial einer konsequenten MA- und Kundenorientierung zur Entfaltung bringen, wenn das Selbstverständnis des Unternehmens geklärt ist. Zu empfehlen ist, mit Hilfe des Organisationskompasses1 „existenzielle Fragen“ des Unternehmens zu klären.
- Die existenzielle Berechtigung: Wie klar sind Sinn und Mission des Unternehmens?
- Der Leading-Anspruch: Wie sehr dienen die handlungsleitenden Werte und (Führungs-)Prinzipien der Orientierung und dem Zweck der Organisation?
- Das angestrebte Zukunftsbild: Wie klar ist das Zukunftsbild beschrieben und wie stringent sind die strategischen Hebel darauf ausgerichtet?
- Die Gemeinschaft der Mitarbeitenden: Was trägt das Zusammenwirken der MA und wie weit reichen deren Qualifikationen für die Bearbeitung der gestellten Aufgaben?
- Das operative Management: Wie effektiv und effizient, aber auch wie unterstützend sind die für die Umsetzung der Strategien notwendigen Ressourcen, Prozesse und Strukturen auf die Wertschöpfung ausgerichtet?
Auf der Grundlage eines derart geklärten Selbstverständnisses kann es überhaupt erst gelingen, die Notwendigkeit praktizierter organisatorischer Regelungen und Praktiken sowie die Sinnhaftigkeit der damit verbundenen Überzeugungen zu beurteilen. Es könnten dann Strukturen und Regelungen etabliert werden, die die Menschen in ihrer Arbeit mit Kund*innen unterstützen. Und ganz entscheidend: Ein so verstandener Ansatz der Wertschöpfungshygiene birgt auch das Potenzial, dass jede*r Einzelne sein/ihr Wirken als sinnhaft und selbstverantwortet erfährt – ein starker Hebel für eine gelingende Mitarbeitendengewinnung und -bindung.
1Ausführliche Beschreibung: Isabella Klien
„Der Organisationskompass in Coaching und Beratung“