Wie heterogene Strukturen das Zusammenspiel entdecken
Unternehmen sind zunehmend damit konfrontiert, dass hierarchische und agile Organisationseinheiten parallel bestehen. Anstatt eines kräftigen Miteinanders entstehen ein Konkurrieren um Aufmerksamkeit und Ressourcen, eine gewisse Ohnmacht und nicht selten ein Klagen über die grundsätzliche Unvereinbarkeit. Die wirkliche Kraft des Miteinanders bleibt oft unentdeckt. Kontakt und Nähe können einen wertvollen Beitrag leisten, um das Besten aus beiden Welten zu vereinen.
Agile und hierarchische Strukturen ticken grundlegend verschieden. Dies zeigt sich beispielsweise in heterogenen Arbeitsweisen, Wertvorstellungen, Tempi oder Rhythmen. Klassische Zuschreibungen sind beispielsweise:
- Hierarchische Strukturen: planbar, orientierungsgebend, verlässlich, langsam, starr, veraltet
- Agile Strukturen: beweglich, anpassend, wendig, innovativ, cool, kundenorientiert
Nicht selten entsteht der Eindruck als würden ausschließlich agile Strukturen zum Erfolg führen.
Doch, ist diese Annahme berechtigt? Nicht unbedingt!
Hierarchische, agile sowie auch alle inzwischen vorhandenen Ausprägungen haben ihre Berechtigung!
Kontext & Unternehmenszweck prägen
Der Kontext ist entscheidend für die Struktur: In komplexen bzw. VUKA Kontexten zeigen sich agile Organisationsformen effizient und effektiv, während in einfachen oder komplizierten Umfeldern klassische, hierarchische Modelle besser geeignet sind. Da die Komplexität jedoch allgemein steigt, ist es jedenfalls bedeutend, die Spielarten der Agilität zu erlernen und im Unternehmen zu verankern.
Blicken wir in die Unternehmen, so sehen wir, dass aktuell vielfach mehrere Ansätze gleichzeitig benötigt werden: Entwicklungs-, IT/Softwareoder Kreativabteilungen brauchen tendenziell agilere Strukturen, wohingegen sich zum Beispiel in Verwaltung und Produktion vielfach klassische Strukturen bewähren. In Projekten wird nicht selten beides gleichzeitig benötigt. Die Antwort liegt damit nicht im Entweder-oder, sondern im Sowohl-als-auch.
Folglich gilt es – ausgehend vom jeweiligen Unternehmenszweck – ein stimmiges Zusammenspiel unterschiedlicher Ansätze im Unternehmen zu kreieren.
Nahtstellen als kritisches Momentum
Die Frage ist nun, ob agile und klassische Organisationseinheiten autonom und abgegrenzt oder in einer engen Beziehung zueinander bestehen sollen. Egal, welche Form: Besonders bedeutend ist das Zusammenspiel an den Nahtstellen1. Kenntnis des und Verständnis für den „Anderen“ bildet dabei die Basis für ein erfolgreiches Miteinander. Herrscht ein gemeinsames Verständnis, dass unterschiedliche Einheiten nach differenten Grundregeln funktionieren und damit anders agieren dürfen und müssen, gelingt es leichter die eigene Sicht und Herangehensweise als die einzig Richtige loszulassen und sich mutig für das „Neue“ zu öffnen.
Damit wird die Situation jedoch auch ambivalenter. Personen an den Nahtstellen brauchen eine hohe Ambiguitätstoleranz (Elsa Frenkel Brunswik, 1949). Das heißt, sie müssen Mehrdeutigkeiten und Unsicherheit gut aushalten und damit konstruktiv umgehen können.
Im Kontakt gemeinsam wachsen
Dialog und Austausch mit dem „Fremden“, dem „Andersartigen“ unterstützt dabei, diese Herausforderung zu meistern. Im Kontakt werden die gelebten Denk- und Herangehensweisen, Haltungen und Werte erkundet und Gemeinsamkeiten sowie Unterschiedlichkeiten benenn- und besprechbar.
„Es bedeutet sich vertraut miteinander machen (…) Du bist für mich nur ein kleiner Junge, ein kleiner Junge wie hunderttausend andere auch. Ich brauche dich nicht. Und du brauchst mich auch nicht. Ich bin für dich ein Fuchs unter hunderttausenden von Füchsen. Aber wenn du mich zähmst (Anm.: im Sinne von „vertraut machen“), dann werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzigartig sein. Und ich werde für dich einzigartig sein.“
aus Der kleine Prinz
Darüber hinaus ist die Reflexion konkreter Praxisfälle bzw. -entscheidungen wertvoll. Es gilt zu erforschen, welche Annahmen und Werte bzw. Notwendigkeiten bei konkreten Entscheidungen handlungsleitend waren. Dadurch werden die individuellen Spezifika am point of operation sichtbar. Im Kontakt lernen sich somit die Wirkenden in agilen und hierarchischen Strukturen besser kennen und verstehen – und somit auch die damit verbundenen Notwendigkeiten und Handlungsweisen. Das Besondere am anderen wird erlebbar und damit gemeinsames Wachsen ermöglicht.
Im Gesamtunternehmen erweitert sich das Verhaltensrepertoire, die Problemlösungs- und Handlungskompetenz, was einen wertvollen Beitrag zur Bewältigung der gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen leistet.
Wie kann Führung die Ausbalancierung unterstützen?
- Definition des Unternehmens-/Teams-/Projektzweckes
- Bewusstsein für die Bedeutung des jeweiligen Kontextes entwickeln und passende Strukturen ableiten
- Einnehmen der Metaperspektive zur Komposition eines stimmigen Zusammenspiels
- Verständnis für die Bedeutung aller Ausprägungen und Verständnis für die Wechselwirkungen
- Klare Positionierung, dass unterschiedliche Strukturen nebeneinander existieren sollen
- Identifikation der Nahstellen, damit diese bewusst gestaltet werden können
- Schaffung von Lern-, Austausch- und Resonanzräumen, damit die Information und Austausch zum fließen beginnen
- Entwicklung und Förderung der Ambiguitätstoleranz bei sich und den Mitarbeitenden
- Schaffung einer Balance für die Mitarbeitenden aus Rückzug in vertraute Gebiete und Anreiz, die eigene Komfortzone zu verlassen
1 Diese Nahtstellen können bspw. zwischen zwei Abteilungen, die zusammenarbeiten oder unter einzelnen Teammitgliedern, die gemeinsam ein Projekt bearbeiten oder auch in der Integration gegensätzlicher Rollen innerhalb einer Person sein.