Jeder Mensch trifft täglich eine Vielzahl an Entscheidungen, manche davon sogar bewusst. Entscheidungen von Führungskräften haben obendrein massive Auswirkungen auf MitarbeiterInnen, KundInnen und KollegInnen. Seit Jahrzehnten meinen wir, logisch-analytisch getroffene Entscheidungen sind besonders gut. Daher bemühen wir uns rational-vernünftig zu handeln, setzen Ziele, bewerten Alternativen und wählen an Hand von vorher überlegten Kriterien aus, was denn nun die beste Lösung wäre. Und wenn wir nicht mehr weiter wissen, dann bilden wir eine Arbeitsgruppe und entscheiden gemeinsam, damit alle Phänomene des Group Think noch dazukommen.
Natürlich treffen wir die meisten Entscheidungen intuitiv, reduzieren die rationalisierte Vorgangsweise auf wesentliche Fragestellungen. Aber auch in diesem Fall stellt sich die Frage, ob dies zum gewünschten Erfolg führt. Angesichts der Vielzahl von gravierenden Fehlentscheidungen würde man in der Retrospektive den Verdacht entwickeln, dass dem nicht so ist.
Was macht das Entscheiden schwer?
Generell sind es drei zentrale Dimensionen, die eine Entscheidung schwierig machen:
- Wesentlichkeit – Was wesentlich und was unwesentlich ist, hängt häufig davon ab, wie umfangreich und wie reparabel/irreparabel die Folgen einer Entscheidung sind. Und wenn wir das nicht wissen, weil wir es nicht abschätzen können, wird die Wesentlichkeit oft subjektiv verzerrt.
- Unsicherheit – Praktisch jede Entscheidung fällt unter Unsicherheit. Denn nur sehr selten wissen wir, welche Konsequenzen die Wahl für A oder B haben wird, was wäre, wenn wir statt B doch A gewählt hätten etc. Gerade im österreichischen kulturellen Umfeld, welches durch hohe Unsicherheitsvermeidung geprägt ist, macht dies das Treffen einer Entscheidung umso schwieriger. Daraus zu schließen, lieber jede Unsicherheit zu vermeiden, beispielsweise noch mehr Informationen zu beschaffen, bis man absolute Gewissheit hat, ist aber definitiv der falsche Weg. Wir wissen inzwischen, dass zu viel Information die Wahrscheinlichkeit widersprüchlicher Inhalte erhöht und die Entscheidungsfindung damit um nichts leichter wird. Letztendlich ist subjektive Unsicherheitsvermeidung ein zentraler Teil unseres täglichen Handelns.
- Persönliche Relevanz – Was uns persönlich nahe geht, können wir noch viel weniger analytisch betrachten. Die Fähigkeit, unsere Gefühle von unserer Ratio zu trennen, ist sehr eingeschränkt. Dabei muss es sich nicht um ein emotionales Erlebnis handeln. Wenn eine Entscheidung im Unternehmensumfeld beispielsweise den eigenen Status heben oder senken könnte, ist es mit unserer Rationalität auch schon wieder vorbei.
Welche Fehler passieren uns aus psycho-logischer Sicht?
Prinzipiell sind diese Phänomene erfolgreiche Denkmuster, die uns helfen, Komplexität zu reduzieren und subjektive Unsicherheit abzubauen, damit wir uns sicherer fühlen.
So toll diese Muster funktionieren, so gefährlich sind sie manchmal, weil sie unsere Entscheidungen wie eine Vision leiten – eine Vision, die uns oft gar nicht bewusst ist – und damit zu Entscheidungsfallen mit negativen Nebenwirkungen werden.
Manchmal hilft es schon zu wissen, in welche Fallen wir denn gerne hineintappen, um sich da und dort wie Münchhausen am eigenen Schopf wieder herausziehen zu können. Oder um die ach so logische aber völlig sinnfreie Entscheidung einer Kollegin/eines Kollegen besser verstehen zu können.
Anker-Falle
> Wie viele Einwohner hat Vietnam? Mehr oder weniger als 30 Millionen? Schätzen Sie doch mal?*
Wir alle kennen die „-30% Schilder“ im Geschäft. Wir alle wissen, der „Listenpreis“ ist dazu da, einen Rabatt gewähren zu können. Und obwohl wir das alle wissen, die Schilder sind immer noch da. Weil sie wirken.
Wir legen überproportionales Gewicht auf die erste aktuelle Information, die wir erhalten. Weil wir diese Info als Anker, als Ausgangs- oder Bezugspunkt für alle anderen Informationen verwenden. D.h. auf Basis dieser Information bewerten wir die anderen Infos und ihren Wahrheitsgehalt. Und je positiver unser emotionaler Zustand ist, desto besser wirken Anker.
Also Vorsicht, wenn Ihnen jemand einen ersten Referenzwert gibt: „Im Vergleich zum Aufwand bei Alternative 1 ist das um ein Viertel kostengünstiger“. Was hilft es mir, wenn der absolute Wert immer noch weit höher ist als ich zu investieren bereit war, bevor ich diese Information erhalten habe?
Status-quo-Falle
> Never change a winning team.
> Abwarten und Tee trinken.
> Dont rock the boat.
Entscheidungen, die den bisherigen Zustand unterstützen, sind gut, weil uns das hilft, unseren Selbstwert zu erhalten. Also treffen wir entweder gar keine (neue) Entscheidung oder wir unterstützen Argumente, welche den bisherigen Zustand positiv rechtfertigen.
Denn für viele Menschen bedeutet eine Änderung des Kurses, sich einen Fehler einzugestehen. Und dann vielleicht auch die Verantwortung dafür übernehmen zu müssen.
Genau diese Sichtweise verhindert oft eine Neubewertung der Situation. In Wirklichkeit hat man immer zu einem bestimmten Zeitpunkt die für diesen Zeitpunkt beste Entscheidung getroffen. Nur nachher schaut die Welt manchmal eben anders aus, weil man gelernt hat, Erfahrungen gesammelt hat und neue Erkenntnisse gewonnen wurden. Deshalb ist die Entscheidung zum Zeitpunkt x jetzt anders zu bewerten, aber nicht zwangsweise schlecht gewesen.
Wenn wir es schaffen uns davon zu lösen, Fehler Menschen zuzuweisen und Schuldige zu suchen und stattdessen Fehler als Quelle des Lernens betrachten können, werden wir dem Problem der statuserhaltenden Entscheidungen effizienter begegnen können.
Kosten-Falle
> Die Kurse bei dieser Aktie sind unerwartet gefallen, ich bin jetzt 30 % im Minus. Vielleicht kaufe ich nochmals die Aktie, dann ist der Durchschnittskurs viel tiefer und ich bin früher in der Gewinnzone, wenn die Aktie wieder steigt.
> Jetzt haben wir in unser Projekt schon so viel Zeit und Mühe gesteckt, jetzt investieren wir nochmals eine Million.
> Wenn ich das Auto jetzt verkaufe, habe ich so und so viel Wertverlust. Wenn ich dann noch bedenke, was ich schon alles investiert habe, da stecke ich lieber noch einmal Geld in die Reparatur dieses Schadens.
Rational betrachtet sind frühere Kosten für heutige Entscheidungen irrelevant weil irreversibel. Die Frage sollte vielmehr lauten: Würden Sie heute diese Entscheidung treffen, wenn die vorherige Entscheidung nie stattgefunden hätte? Würden Sie die Aktie, die um 30 % im Kurs gefallen ist kaufen, weil Sie glauben, es ist ein Schnäppchen? Oder würden Sie in die tote Ente keinen müden Euro investieren wollen?
Neue Möglichkeiten bei totaler Informationsüberflutung
Unbewusst entscheiden wir oft subjektiv was wir gerne hätten, bevor wir überlegen, warum wir es gerne tun wollen. Da wir uns mit Themen, Meinungen und Ideen, die unserem Wertebild entsprechen, auch mehr beschäftigen, führt dies zu einer schiefen Ebene im Informationsverhalten.
In Zeiten völliger Internet-Informationsflut haben wir massig die Möglichkeit, Informationsvielfalt und Verwirrung durch selektive Auswahl von Quellen zu reduzieren.
Gerne reduzieren wir bei der Auswahl „zulässiger Informationen“ auf jene Inhalte, die unseren Standpunkt oder unsere schon vorweg getroffene unbewusste Entscheidung unterstützen. Und tun andere Informationen möglicherweise als unrichtig, weniger glaubhaft etc. ab oder ignorieren sie einfach vollständig.
Apropos WWW: 75% der Suchmaschinen-Anfragen gehen bei der Informationsbeschaffung nicht über die erste Seite hinaus. Wenn etwas also auf Google nicht auf Seite 1 auftaucht, wird es in 3 von 4 Fällen schon gar nicht mehr berücksichtigt. Wer glaubt, die besten Informationen wären ohnehin auf Seite 1 zu finden, glaubt wahrscheinlich auch an den Osterhasen.
Überforderte Entscheidungsträger?
Wer immer versucht logisch-analytisch zu agieren, verwendet viel Zeit und Energie für etwas, das ziemlich schlecht funktioniert. Weil unsere begrenzte Wahrnehmungs-, Informationsverarbeitungs- und Diagnosefähigkeit zu einer subjektiven Wirklichkeit führen, in der wir uns mittels Scheinrationalität etwas zusammenbasteln, das wir dann vor anderen legitimieren oder rechtfertigen (egal ob jemand nach einer Legitimation gefragt hat).
Oder etwas provokanter: Wer immer alles sachlich begründen will, macht sich das Leben unnötig schwer, seine Entscheidungen damit aber auf keinen Fall besser.
*) Sorry, mit der Frage „mehr oder weniger als 30 Millionen“ haben wir Ihnen einen Anker gesetzt. Wenn Sie geraten haben, ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie überlegt haben, ob 30 Millionen viel oder wenig sind. Hätten wir 50 Millionen gesagt, wäre das der Ausgangspunkt gewesen. Wie viele sind es jetzt wirklich: rund 89 Millionen.