Mal konkret, mal virtuell Mut zur Vielfalt!
Stellen Sie sich doch einfach mal vor, ein Coaching ist in etwa so, als ob man sich in einem Haus und seiner Umgebung befindet. Man wählt einen Innenraum oder einen Außenraum, arbeitet darin, lässt sich inspirieren, gelangt zu neuen Einsichten und Impulsen und geht dann weiter. Jeder Raum hat seinen eigenen Charakter, seine eigenen Besonderheiten und reichhaltige Möglichkeiten …
Die meisten Coaching-Prozesse starten mit einer Frage wie: Was soll ich in dieser speziellen Situation – oft bezogen auf Team- oder Führungsfragen oder bestimmte Krisen – machen? Wie soll ich mich entscheiden? Oder: In welche Richtung will ich mich weiterentwickeln? Sehr häufig empfehlt es sich, diese Fragen nicht direkt anzugehen, sondern einen wertvollen Umweg einzulegen. Ein Umweg, der sich letztlich als effektiver und nachhaltiger und oft sogar kürzer herausstellt. So ist es etwa häufig von großem Nutzen, bei der Person des Coachee zu starten, in den „Innenräumen“.
Die Innenräume
Hier geht es um den Coachee selbst. Etwa um sein Mindset, seine innere Haltung und Einstellung – deren Stärkung in der Mentalen Kraftkammer angestrebt wird, in sehr vielen Situationen die Grundvoraussetzung für das Finden von hilfreichen Zugängen und Lösungen. Ein ganz spezieller, zutiefst persönlicher Raum, die Innere Schatzkammer, dient als reichhaltiger Quell von stärkenden Ressourcen. Als Schätze eignen sich sämtliche wertvollen Erfahrungen aus der Vergangenheit: Moments of Excellence genauso wie kritische Erlebnisse, aus denen man gestärkt hervorgegangen ist. Im Spiegelkabinett wiederum betrachtet sich der Coachee aus verschiedensten Perspektiven – Reflexion im besten Wortsinn. Mit all diesen Anregungen genährt kann der Coachee in der Zukunftswerkstatt mit verschiedensten kreativen, reflexiven und erlebnisorientierten Methoden an der Gestaltung seiner persönlichen Weiterentwicklung arbeiten.
Die Außenräume
Es braucht natürlich auch die Orientierung im Außen, das Begreifen und Bearbeiten von Umfeld und Zwischenräumen, die Beziehungsgefechte, das Eingebunden sein in Netzwerke, größere Sinnzusammenhänge inklusive der Logik und Kultur der jeweiligen Organisation und darüber hinaus. Die Sparringzone dient dazu, in einem geschützten Rahmen die konkrete Coaching-Frage zu bearbeiten, mögliche Lösungswege zu simulieren und diese dann zu reflektieren. Und dann ist da noch der Panoramagarten, der Garten mit Aussicht, quasi das Äquivalent zur Zukunftswerkstatt auf organisationaler Ebene. Hier macht der Coachee die weitere Entwicklung und künftige Gestaltung seines Verantwortungsbereichs zum Thema.
Coaching schafft und nutzt also Räume. Dieser analoge, metaphorische Zugang bietet eine Meta-Struktur für alle Arten komplexerer Begleitungsprozesse. Sowohl der Coachee wie auch der Coach können von diesem Big Picture des Coaching-Hauses profitieren: Es gibt Orientierung wie eine Landkarte, regt an und inspiriert mit seinen vielfältigen Aspekten, und es öffnet vor allem Raum und Räume – für Reflexion, Stärkung und Entwicklung. Obendrein kann es in alle möglichen Richtungen adaptiert werden. Denkbar sind hier etwa mehrere Geschoße mit Dachausbau und Kellerräumen, ein Balkon, diverse Nebenräume und Hinterzimmer, ein Salon, eine Bibliothek, eine Steuerungszentrale, eine Galerie. Je nach Bedarf – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Erfolgreiches Coaching – auch im virtuellen Raum?
Spezielle Zeiten bringen manch überraschende Neuerung mit sich. Die diesjährige Krise hat uns alle gebeutelt. Neben dem Meistern der wirtschaftlichen Turbulenzen mussten wir auf Home-Office ausweichen und uns auf neue Formen im Zusammenarbeiten, in der Prozessbegleitung, im Training und auch im Coaching umstellen. Videokonferenzen waren plötzlich das Gebot der Stunde und ersetzten über einige Monate alle bisherigen Face-to-Face-Meetings. So eigneten sich auch jene, die vorher nicht so firm darin waren, die entsprechenden Kompetenzen an – sowohl auf Klientenseite wie auch wir Berater*innen und Coaches. Was sind nun die zentralen Erfahrungswerte daraus für Coaching?
Manche meinen ja, es gäbe kaum einen qualitativen Unterschied zum klassischen Coaching, denn auch Videokonferenzen finden in einem geschützten Rahmen und in Echtzeit statt. Dabei könnten die gleichen Räume im Coaching-Haus bespielt, die gleichen Hilfsmittel (und sogar noch einige mehr) verwendet werden wie auch im herkömmlichen Coaching. Manch einer ist vielleicht sogar mutiger und offener, wenn der Kontakt nicht unmittelbar, sondern mittels Video statt findet. Alles, was Coaching ausmacht, ließe sich also auch im virtuellen Raum erreichen.
Nun, da muss man etwas auf die Euphoriebremse steigen, gibt es doch einige wesentliche Abstriche. Neben methodischen Einschränkungen (z.B. bei der Verwendung analoger Hilfsmittel und manch körperbasierter Techniken) betrifft dies in erster Linie die Qualität der Begegnung, die Unmittelbarkeit des Kontaktes. Vor allem bei neuen Begleitprozessen empfehlt es sich, vorab mindestens einen Termin „in real“ zu haben – insbesondere zum Aufbau von professioneller Nähe und Vertrauen. Auch die Gefahr der Ablenkung ist für beide Seiten deutlich höher, zum einen durch technische Belange, zum anderen durch die typischen Störungen am Arbeitsplatz.
Demgegenüber bieten virtuelle Formen auch etliche Vorteile wie etwa die größere zeitliche Flexibilität, das Wegfallen der Reiseaufwände und das gemeinsame Arbeiten an Dokumenten. Was braucht es, damit ein Video-Coaching für die Klient*innen tatsächlich einen großen Nutzen generieren kann?
Natürlich müssen die technischen und räumlichen Voraussetzungen geschaffen sein, also die Auswahl eines adäquaten Tools, die Bandbreite der Übertragung, die Qualität der Mikrofone, die Wahl der Kulisse, eine gute Ausleuchtung. Und es sind einige grundlegende Kommunikationsregeln zu vereinbaren. Denn für ein erfolgreiches Video-Coaching ist es um einiges wichtiger als bei den üblichen firmeninternen Online-Meetings, für die Vermeidung von Störungen und die Fokussierung auf die Coaching-Session zu sorgen. Der Coach sollte sich darüber im Klaren sein, welche Hilfsmittel für dieses Setting geeignet sind, welche Form der Visualisierung genutzt werden soll (interaktives Whiteboard und/oder echtes Flip-Chart?) und welche Interventionen hier funktionieren. Die Auswahl ist jedenfalls auch unter virtuellen Rahmenbedingungen groß genug, um den Coachees professionelle Unterstützung und Begleitung anbieten zu können.
Auf den Punkt gebracht: Videokonferenzen stellen mit Sicherheit wertvolle Ergänzungen für klassische Coaching-Prozesse dar, können diese allerdings nicht zu 100 Prozent ersetzen. Auch wenn sie schon länger zur Gesamtpalette der Möglichkeiten dazugehören, werden sie in den nächsten Monaten und Jahren noch stärker Teil der neuen Coaching-Normalität sein. Das Coaching-Haus mit all seinen Räumen lässt sich jedenfalls auch da draußen, in der weiten Welt der virtuellen Vernetztheit, entwickeln, ausbauen, bespielen und verändern.
Klaus Theuretzbacher & Peter Nemetschek (2009, 4. Au . 2016). Stuttgart: Klett-Cotta.
Coaching und Systemische Supervision mit Herz, Hand und Verstand. Handlungsorientiert arbeiten, Systeme aufbauen.
Coaching und Supervision kann auch anders als gewohnt ablaufen: weniger reden, mehr tun. In Bewegung kommen, an Time-Lines eine konstruktive innere Haltung entwickeln, in großräumigen Systemlandschaften das ganze Umfeld erleben. Die Autoren stellen neue Wege vor, um Einzelklienten oder Teams dabei zu unterstützen, Krisensituationen und andere Herausforderungen zu meistern und nachhaltige Lösungen effektiv und zeitsparend zu erarbeiten.
„Immer wieder steht … die Leichtigkeit im Vordergrund, mit der Coaching bewerkstelligt werden soll – in den beschriebenen Krisensituationen, in denen die Instrumente zur Anwendung kommen. Dabei zeitsparend und effektiv zu arbeiten, ist das Anliegen der Autoren. Hier können sich (angehende) Coaches viele Anregungen holen!“ (Lernende Organisation)
Klaus Theuretzbacher (2017). Stuttgart: Klett-Cotta.
Coaching schafft Räume. Von der Mentalen Kraftkammer in die Zukunftswerkstatt – kreative Interventionen, wirksame Lösungen.
Führungskraft im Change? Schlaue Positionierung in der Organisation? Konflikte im Team? Vorbereitung von Entscheidungen? Persönliche Neuorientierung? Egal ob Top-Management, Experte oder Schlüsselkraft: Coaching hat sich als effektive Unterstützung bestens etabliert und bewährt.
„Dieses Buch situiert besonders wirksame Coaching-Tools in der sinnlich präsenten Vorstellungswelt eines Hauses mit diversen Räumen: Coach und Klient bewegen sich je nach aktuellem Thema in der mentalen Kraftkammer, der Sparringzone, dem Spiegelkabinett, der inneren Schatzkammer, der Zukunftswerkstatt oder dem Panoramagarten, um alle Ressourcen, Optionen und Lösungen zielorientiert zu erfassen. Beispiele aus der psychologisch fundierten Coaching-Praxis des Autors runden den originellen und prägnanten Ansatz ab.“ (Klett-Cotta)