Augen zu. Aufrecht sitzen. Die Atmung wahrnehmen. Den Körper spüren. Gedanken kommen und gehen lassen. Achtsamkeit macht uns fokussierter und selbstbestimmter. Was bedeutet dies für Unternehmen und Menschen in ihrer Selbstführung und im Leadership?
„Achtsamkeit“ erzielt bei einer Google-Recherche derzeit 34 Millionen Treffer. Das Thema hat es auf die Titelseiten großer Magazine geschafft, es prangte am Cover des Time-Magazine und weltweit existiert eine wahre Flut an Publikationen. Warum boomt dieses Thema derart?
Die technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen haben enorme Auswirkungen auf unser Leben, unsere Beziehungen, unsere Familien und natürlich auf unsere Art zu arbeiten und zu kommunizieren. Die Überdosis an sozialen Medien, der digitale, zum Teil exhibitionistische Dauervergleich und die Flut an Informationen und Nach- richten führen zu einem Overload im Erleben, zu Ruhelosigkeit und dem Gefühl der inneren Leere.
Laut einer Studie von Microsoft hat die Reizüberflutung bereits zu einer verringerten Aufmerksamkeitsspanne geführt. Im Jahr 2000 konnten wir uns noch 12 Sekunden lang auf eine Sache fokussieren, 2013 nur mehr 8 Sekunden.
Flapsig formuliert wird vom Goldfisch-Syndrom gesprochen, dieser kann sei- ne Aufmerksamkeit 9 Sekunden auf etwas richten. ADT (Attention Deficit Trait) wird vom Psychiater Dr. Hallowell als Syndrom dieser Zeit beschrieben und kennzeichnet eine antrainierte Aufmerksamkeitsstörung, die durch innere Unruhe, leichte Ablenkbarkeit und Schwierigkeiten beim Prioritäten-Setzen gekennzeichnet ist.
Gleichzeitig haben Menschen zunehmend ein Bedürfnis nach Ruhe und Stabilisierung, nach „echten“ spürbaren Begegnungen und Beziehungen – kurzum nach intensiv gelebtem Leben. Der Zukunftsforscher Matthias Horx postuliert Achtsamkeit als die zentrale Zukunftskompetenz und spricht dabei von einem Gegentrend zur Beschleunigung, zur Digitalisierung und zur Hypermedialität.
Wir benötigen in dieser überreizten, überkomplexen und hochdynamischen Welt ein stabiles inneres Gegengewicht, das unser vegetatives, gedankliches und emotionales Sein beruhigt und eine innere Stabilität für einen weisen und selbstfürsorglichen Lebensstil ermöglicht.
Genau hier setzt Achtsamkeit an, deren Wurzeln 2500 Jahre alt und im Buddhismus zu finden sind. Jon Kabat-Zinn, einer der Begründer der modernen säkularen Achtsamkeitsbewegung, schreibt: „Achtsamkeit bedeutet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen … Achtsamkeit ist eine einfache und zugleich hochwirksame Methode, uns wieder in den Fluss des Lebens zu integrieren, uns wieder mit unserer Weisheit und Vitalität in Berührung zu bringen.“
Achtsamkeit ist eine innere Haltung und ein bewusster Prozess – es ist die Entscheidung, immer wieder den Zustand der Präsenz und Bewusstheit herzustellen, wahrzunehmen, was gerade ist und dann selbstbestimmt den nächsten Schritt zu tun und zu erleben.
Unternehmen wie Google, SAP, Allianz oder Erste Bank setzen auf Achtsamkeit in allen Unternehmensbereichen. Chade-Meng Tan hat bei Google mit „Search Inside Yourself“ bereits 2007 ein umfassendes Achtsamkeits-Programm entwickelt, welches seither Mindfulness-Workshops, Retreats in Klöstern, das Erlernen der Achtsamkeitspraxis, Meditationsräume, Mindful Leadership und übergeordnet Achtsamkeit in der Unternehmenskultur verankert.
Die wenigen aber fundierten Wirksamkeitsstudien bestätigen zunehmend positive Wirkungen: Wir leben mehr im Hier und Jetzt. Besonnenheit und Selbstregulation führen zu mehr Selbstwirksamkeit. Wir erleben weniger Stress bei gleichem Arbeitspensum. Die Konzentrationsfähigkeit steigt, Mitgefühl und prosoziales Verhalten werden gestärkt. Es kommt zu Veränderungen im Gehirn: die Hoch-Sensibilität der Amygdala (die Warnzentrale in unserem Gehirn) nimmt ab und die graue Substanz in der Großhirnrinde (analytisches, kreatives Denken) wird dicker. Unsere Gedanken wandern weniger, und wir entwickeln mehr Körpergewahrsein.
Peter Bostelmann, Director bei SAP, beziffert den ROI des Global Mindfulness Programs sogar mit 200%.
Der Bedeutung von Führungskräften wird im Rahmen der Mindfulness-Tradition viel Beachtung geschenkt. Michael Bunting spricht in „The Mindful Leader“ davon, dass mehr als 37% des Engagements und der Bindung von Mitarbeiter/innen mit dem Führungsverhalten in Zusammenhang stehen. Bei Mindful Leadership geht es nicht um Entspannungstechniken, sondern darum, mentalen und emotionalen „Frei-Raum“ zu gewinnen, der Selbstführung und Leadership möglich macht. Mindful Leadership ist eine bewusste und trainierbare Praxis der Selbstbeobachtung und Selbststeuerung, welche im Inneren der Führungskraft ansetzt und zu souveränem, stimmigem und empathischem Führungsverhalten führt.
Exzellenzfaktoren für Mindful Leadership:
- Sei persönlich wirklich präsent
- Entwickle klares Bewusstsein und Selbststeuerung
- Übernimm Verantwortung
- Fokussiere auf das Wesentliche
- Handle und lebe nach deinen inneren Werten
- Lebe und teile deine Vision
- Bleib offen und pflege deine Kreativität und Innovationskraft
- Nimm dich selbst an und bemühe dich um Mitgefühl
- Ermögliche anderen, über sich selbst hinaus zu wachsen
- Sei dir klar, dass dein Handeln mit allem verbunden ist
Achtsamkeit üben: 1 Minute vom „Tun“ zum „Sein“:
Setzen Sie sich aufrecht und dennoch entspannt auf Ihren Sessel. Sie können Ihre Augen schließen. Lenken Sie die Aufmerksamkeit auf Ihre Atmung – nehmen Sie wahr, wie Ihr Atem einströmt und wieder ausströmt und nehmen Sie dabei die Körperbewegungen wahr. Bis wohin können Sie Ihren Atem spüren? Genießen Sie bewusst die Atem-Pause, bis Ihr Körper ganz von selbst wieder einatmet.
Nehmen Sie Ihren Atem nur wahr, ohne diesen verändern zu wollen. Gedanken, Gefühle und andere Impulse einfach registrieren und dann wieder weiterziehen lassen und die Aufmerksamkeit wieder auf Ihre Atmung lenken. Bevor Sie wieder in die Aktivität kommen, stellen Sie sich die Frage: Was ist jetzt gerade wirklich wichtig?
Nehmen Sie dann die innere Ruhe mit in Ihren nächsten Schritt.