Norbert Trawöger macht sich Gedanken über das Spiel und fragt sich, wieviel Spielraum wir in unseren Zeiten haben. Dabei stößt er auf wahre Anarchie.
Spiel und Kreativität sind untrennbar miteinander verbunden. Letzteres wird immer häufiger im beruflichen Kontext gefordert. Doch: Wie wird man denn kreativ, wenn wir es doch schon alle von Haus aus sind? Indem man es zulässt, ist die knappe Antwort.
Wir spielen Ball, Flöte, Roulette oder die Heldin. Die Zeit spielt uns in die Hände, wieder andere spielen auf Zeit. Er will ja nur spielen, heißt es, wenn die Lage scheinbar ungefährlich ist. Kinder spielen einfach, viele trainieren es, manche Erwachsene betreiben es beruflich. Wir verderben (jemandem) das Spiel, spielen mit dem Feuer, Verstecken oder Katz-und-Maus. Das Geschlecht spielt keine Rolle, behauptet der, der den starken Mann spielt. Wir setzen aufs, kommen ins Spiel. Spielen ist kochen ohne Rezept. Musizierende spielen Bach, Heranwachsende am Bach. Wir spielen ein doppeltes Spiel, uns mitunter um Kopf und Kragen. Nur verspielen will (sich) niemand. Wir spielen auf, an, um, ab und zu. Aber wenn es ernst wird, haben wir ausgespielt. Dann gelten andere Spielregeln und die Spielplätze werden versperrt. Wir spielen alle. Spielen ist Zustand und Arbeit, Absicht und Zufall, Ausnahme und Regel. Es geschieht einfach, wir arbeiten hart dafür oder vergessen völlig darauf.
Der Urgrund des Schöpfungsvorganges
Spielen hat kein Produkt im Sinn, es bringt uns zu uns, zu unseren Begabungen und lässt uns auf Dinge stoßen, Ideen oder Zufälle erfahren. Es vergeht kein Tag, an dem nicht nach dem Kreativen geschrien wird. Kreativität verlangt nach Spielraum. Kaum eine Stellenausschreibung verzichtet auf die Forderung dieser Eigenschaft, die uns allen grundgelegt ist. Gesucht werden der altbekannte Kreativdirektor, die kreative Assistenz der Geschäftsführung, die kreative Allrounderin, der kreative Beikoch oder eine Kreativanimateurin im Sozialbereich oder der kreative Organisationsjunkie. (Diese kreativen Stellenbeschreibungen entspringen nicht meinem Erfindungsgeist, möchte ich nachdrücklich anmerken!) Großkonzerne installieren Chefinnovationspredigerinnen („Chief Innovation Evangelist“), die die Belegschaft zur Leichtigkeit des Kreativen bekehren sollen. Universitäten verfassen Manifeste für kreative Innovation, als ob Erneuerung ohne schöpferische Kraft überhaupt denkbar wäre. Studien beweisen, dass ein unaufgeräumter Schreibtisch kreative Vorgänge beflügeln soll. Wir sind in vielen Bereichen an Grenzen des bisher Möglichen gekommen, daher sind die Innovationsbescherenden, kreativen Out-of-the-box-Denkenden gerufen, Kreativitäter:innen zu werden, um unerhörte, weltrettende „Kreativitaten“ zu begehen. Wer aber glaubt, dass bei aller Kreativitätswütigkeit der Spielraum als Ort des Zu- und Einfalls ernster genommen würde, irrt. Obwohl das Spielerische der Urgrund jedes Schöpfungsvorgangs ist, wird seiner Leichtigkeit misstraut. Geld regiert den Sinn und bestimmt den Grad der Nützlichkeit. Dabei ist die Eroberung des Nutzlosen in Zweckfreiheit mindestens ebenso wichtig wie die Langeweile, durch die man erst selbst zur Erfinderin, zum Erfinder wird. Das nennt man Selbstwirksamkeit.
„Wie das Spielerische ist die kreative Tätigkeit nicht nur Veranlagung, sondern eine Muskulatur. Je mehr sie beachtet und trainiert wird, umso mehr Herausforderungen lassen sich stemmen.“ — Norbert Trawöger
Das Spielerische als Veranlagung und Muskulatur
Wir brauchen Spielräume, Freiräume in Spezial-Fitnesscentern, in denen nicht unbedingt ein Trainingsprogramm vorgeschrieben ist, aber auch dieses kann gelegentlich helfen. Wie das Spielerische ist die kreative Tätigkeit nicht nur Veranlagung, sondern eine Muskulatur. Je mehr sie beachtet und trainiert wird, umso mehr Herausforderungen lassen sich stemmen. Die Strategien, wie Sie Ihr schöpferisches Potenzial in Bewegung bringen, können Sie in unzähligen Büchern nachlesen. Ich bin kein Fan von Ratgebern.
„Ich glaube, jedes Kind und im Grunde jeder Erwachsene, lässt sich gern zum Spiel einladen“, sagte der große deutsche Autor Michael Ende. Es geht also um die Einladung in einen Spielraum. Das kann alles Mögliche und vor allem Unmögliche sein, vom Bürotausch bis zum gemeinsamen Frühstück ohne Agenda. Es kann bedeuten, die Leidenschaften und Hobbys von Mitarbeitenden zu erfragen, und diese gelegentlich im Arbeitsalltag heranzuziehen, oder das nächste Meeting bei einem Waldspaziergang abzuhalten. Das Überraschungsmoment ist wesentlich und Disziplin; Eintagsfliegen fliegen nicht lange.
„Spü di“ ist die Devise, alles kann auf den Kopf gestellt werden, vor allem können wir uns selbst auf den Kopf stellen und die Welt aus einer anderen Perspektive erblicken. Das nenn ich wahre Anarchie – und die brauchen wir mehr denn je, um uns Spielräume zu schaffen und zu erhalten.
Norbert Trawöger ist Künstlerischer Direktor des Bruckner Orchester Linz und künstlerischer Leiter der KulturEXPO „Anton Bruckner 2024“. Zuletzt erschien sein Buch „Spiel“. Der „gefragte Anstifter zu kreativem Denken und Handeln“ (A-list) meldet sich dabei immer wieder unruhig zu Wort, spielt Flöte und mit seinen Kindern.
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