Identität und Perspektiven im Wandel
Kennen Sie den Sturm im Wasserglas der Veränderung? Jene Situation im Unternehmen, wo Bedenkenträger Feuer schreien, Gutmeinende zusammenlaufen, hochglänzende Strategien und Leitorientierungen der Veränderungsnotwendigkeit ausgerufen werden, viel Wirbel und Lärm in allen Bereichen entsteht und es am Ende im Großen und Ganzen wieder beim Alten bleibt?
Das Bild mag etwas überzeichnet wirken. Die Intention dabei ist ja meistens eine gute. Etwas zu verändern, für den künftigen Erfolg Notwendiges zu tun. Sich für die Herausforderungen, die auf das Unternehmen zukommen, zu rüsten. Kann es sein, dass sich nun tatsächlich etwas im Wesentlichen verändern muss? Dass es an der Zeit ist, einigen langdienenden Paradigmen und mentalen Modellen unserer Unternehmens- und Arbeitswelt auf den Zahn zu fühlen und alte Zöpfe kompromisslos abzuschneiden? Themen wie Agilität, zunehmende Dynamisierung und Komplexität sind dann wohl mehr als ein Hype. Es zeichnet sich in vielen Bereichen ein tiefgreifender Wandel ab, eine grundsätzliche Transformation, in der sich Wesentliches in den Haltungen und leitenden Modellen verändern muss. Ein Tanz am glatten Parkett der kulturellen Veränderung wird wohl unausweichlich.
Damit dieser erfolgreich gelingt, sind aus meiner Erfahrung fünf Beweger des Veränderungsmanagements wesentlich, die ich nachfolgend als „Cultural Mover“ beschreibe, verstanden als Momentum, das Veränderungsenergie mobilisiert und freisetzt.
Mover 1: Einladung zum Tanz
Die Veränderungs-Dramatik schafft kollektives Bewusstsein. Die gemeinsame Sicht und Beurteilung der Ausgangssituation und der erforderlichen Dringlichkeit und Intensität der Veränderung sind der Startpunkt. Was sind dabei nun die zentralen Fragen, wenn es um die Bedarfsfeststellung geht?
- Welche Radikalität des Wandels ist erforderlich? Welcher Intensität (Dringlichkeit und Durchdringung) der Veränderung muss sich das Unternehmen stellen? Je mehr die gesamte Organisation und nicht nur Teilbereiche erfasst werden, umso breiter muss der Prozess angelegt werden.
- Um welche kulturelle Komplexität geht es? Geht es um die Frage des „Wie“ und damit der leitenden Werte und Normen und/oder um die Frage des „Why“ und damit des Purpose? Je stärker eine tiefgreifende und umwälzende Veränderung der Existenzfrage ansteht, umso komplexer wird der Prozess.
Je nach Dringlichkeit der Veränderung, des Durchdringungsgrades sowie der Tiefe der erforderlichen existenziellen Auseinandersetzung machen unterschiedliche Zugänge des Cultural Change Sinn. In der nachfolgenden Grafik werden gängige Ansätze dargestellt, die mit ihrer jeweiligen Philosophie und dem spezifischen Vorgehen den Charakter der Veränderung prägen.
Mover 2: Die Tanzfreude wecken
Readiness for Change – Wandlungskultur und -koalition. Veränderungs- und Entwicklungsstimuli treffen auf unterschiedliche Kompetenzen und Kulturen der Veränderungsmotivation und -fähigkeit. Wesentliche Kriterien dafür sind aus unserer Praxis:
- Neugierde und Experimentierfreudigkeit
- Ein Vertrauensklima – Fairness, Einschätzbarkeit, Verständnis, Transparenz und Verlässlichkeit
- Lernbereitschaft und Wissenstransparenz
- Change-Management-Professionalität und -Kompetenzen
- Verantwortungsbewusstsein – durch gleiche Augenhöhe und Delegation in die verantwortliche Mitgestaltung
- Stabilität in der Veränderung durch Identität und Perspektiven
- Ein Anreizsystem, das die Veränderungsnotwendigkeit unterstützt
Wenn ein tiefgreifender kultureller Wandel ansteht, muss das Ziel sein, frühzeitig eine wirksame Koalition der Veränderungsgestalter zu bilden. Zugleich muss auch in Richtung einer wandlungsbereiten Kultur gearbeitet werden.
Mover 3: Die neue Choreografie
Ein neues Narrativ bietet Sinn und Perspektive. Eine kräftige Vision zum Change und dem Veränderungsbedarf verstärkt und autorisiert: Create a Saga – und damit ein Narrativ, das die deep culture berührt, künftig wesentliche Glaubenssätze befeuert und im Hinblick auf künftiges Handeln inspiriert und einstimmt.
Was ist das künftig erfolgversprechende organisationale Mindset? Wie klar ist das Bild dazu und welche Soll-Kultur (Purpose, Haltungen) ist damit verbunden? Was ist die derzeitige Wandlungskultur? Welche Entwicklungen sind für die eigene Zukunftsfähigkeit von zentraler Bedeutung? Was ist der Reifegrad der Organisation im Hinblick auf die erforderlichen Kompetenzen, um die anstehende Veränderung zu bewältigen? Was gilt es zu bewahren und in die Zukunft mitzunehmen? Oft geht es auch um Gelungenes und bisherige Erfolge, die gewürdigt und fortgesetzt werden sollen.
What makes the difference?
Letztlich ist von zentraler Bedeutung, was den Unterschied ausmacht und welche konkreten Ziele und Haltungsänderungen angestrebt werden. Der Cultural Change zeigt sich über das Begreifbare. Je mehr Schlüsselpersonen in den Prozess frühzeitig eingebunden sind, umso rascher wird eine relevante breite Basis der Mitarbeitenden erreicht und die Veränderung nachhaltig gefordert und getragen.
Mover 4: Den Rhythmus finden
Rahmen schafft Raum für Übergänge in neue Formen. Welche Abläufe, Entscheidungsprozesse, Instrumente, Rollen und Spielregeln sind neu zu gestalten und geben damit – auch bereits in der Veränderungsphase – den Rahmen vor, in dem sich das künftige Handlungskonzept ausgestalten kann und muss? Diese Auseinandersetzung ist ein struktureller Konflikt zwischen alten und neuen Ritualen, Strukturen, Haltungen, Erwartungen und Glaubenssätzen. In dieser Phase gilt es, sich von Vertrautem zu lösen, bisher Gültiges zu verlernen und sich für Neues zu öffnen. Zumeist ist das weniger ein rationaler als vielmehr ein tief emotionaler Prozess, der das limbische System der Menschen und im übertragenen Sinn der Organisation in Bewegung setzt und setzen muss. Ein Kraftfeld zwischen Bewahren des Status Quo versus Querdenken und Quergehen.
Erst wenn es zu einer von der kritischen Masse getragenen und lebbaren Übereinstimmung kommt, ist ein nachhaltiger Musterwechsel möglich. Die Kultur als Immunsystem der Organisation beginnt sich neu zu ordnen und die Veränderung zuzulassen.
Mover 5: Mit Takt und Haltung gleiten
Evaluieren und Implementieren – mit Wurde und Vitalität. Veränderungen im Wesentlichen treffen auf die Menschen mit ihrem Wesen, ihren Zugängen, Erfahrungen und Kompetenzen. Sie führen die Mitarbeitenden und vor allem diejenigen, die Verantwortung tragen, an und über die Grenzen des Machbaren und Erträglichen.
Damit der Change wirklich nachhaltig passieren kann, müssen möglichst viele aus der Komfortzone heraus und neue Erfahrungen machen, evaluieren und umsetzen. Nur dann werden die künftig erforderlichen Fähigkeiten und Haltungen erlernt und verinnerlicht.
Da diese Prozesse sehr belastend sein können, sind entsprechende Begleitkonzepte im Sinne einer achtsamen Führungs- und Begleitungsarbeit von hoher Bedeutung.
Für eine nachhaltige, zukunftsfähige Kulturveränderung müssen die Menschen an das neue Narrativ und auch an sich selbst und die eigene Fähigkeit zum Erfolg glauben. Sie müssen auf das Parkett gehen (wollen) und den Tanz wagen. Das ist letztlich wohl der wichtigste Mover. Dann wird es mehr sein als ein zeitgeistiger Sturm im Wasserglas – nämlich eine tiefgreifende Transformation der Organisation und ihrer Menschen im Sinne der Zukunftsfähigkeit des gesamten Systems.
Würde im Wandel Menschen achtsam begegnen
Andrea Auinger, MSc.Das Wasser im Glas wurde aufgewühlt, die Sicht auf den Boden vernebelt. Ähnlich ist es mit unserer Aufmerksamkeit. Wird der Wirbel im Wasserglas oder das Aufgewühlte in uns langsamer, werden auch die Wellen und die Unruhe weniger, wir sehen wieder auf den Grund des Bodens und gewinnen einen klaren Blick.
Sind Führungskräfte in aufwirbelnden Situationen unterwegs, brauchen sie ihre volle Aufmerksamkeit für den Boden im Wasserglas. Bei Achtsamkeit (oder jetzt als Mindfulness in aller Munde) geht es um das systematische Trainieren unserer Aufmerksamkeit auf das Wesentliche. Seit einigen Jahren setzen Firmen wie Google und SAP auf Achtsamkeit und schulen ihre Mitarbeiter/innen darin. Nicht nur weil sich dadurch Kreativität und Innovationsfähigkeit verbessern, sondern auch die gesundheitliche Widerstandskraft, der Spaß an der Aufgabe und die Veränderungsbereitschaft wieder spürbar wachsen. Nicht zuletzt wissen wir alle, wie gut wir uns fühlen, wenn wir uns halbwegs in unserer Mitte beenden. Diese Kraft aus unserem Innersten heraus wirkt sich auf alle Bereiche unseres Lebens positiv aus.
Die eigenen Bedürfnisse und die von Mitarbeiter/innen oder Kollegen/innen wacher und empathischer wahrzunehmen, ermöglicht uns einen anderen, frischeren, zuversichtlicheren Umgang mit Themen, die das Unternehmen und/oder die eigene Person bewegen. Die dadurch in unserem Innersten neu entstandene bewusste Handlungsfähigkeit ermöglicht diese klarere Sicht auf Dinge und ein engagierteres Handeln – man sieht den Grund im Wasserglas wieder klar.
Achtsamkeit ist daher untrennbar mit der Würde verbunden. Wir als INOVATO-Gruppe haben sie – die Würde – als einen unserer zentralen Werte beschrieben. Weil menschorientierte und nachhaltig erfolgreiche Veränderung wohl nur so gelingen kann: achtsam und würdevoll.