Bei der Behandlung des Themas Resilienz werden die Umgebungsbedingungen häufig sehr stiefmütterlich behandelt. Dabei kommt gerade den Umgebungsbedingungen sowohl bei der Entwicklung und Herausbildung von Resilienzfaktoren als auch bei deren Entfaltung eine zentrale Bedeutung zu.
Was tun Sie, damit die Begabungen Ihrer größten Talente nutzbar werden? Was tun Sie, damit Ihre „Highperformer“ optimal performen können?
Die Herausbildung von Resilienzfaktoren steht nicht selten im Zusammenhang mit der Bewältigung besonders herausfordernder und krisenhafter Lebenssituationen. Meistens sind es einzelne Personen oder Gruppierungen, die den Betroffenen den nötigen Halt bieten, um krisenhafte Lebenssituationen bewältigen zu können und gestärkt daraus hervorzugehen. Aus gut bewältigten Herausforderungen und Krisensituationen entwickeln sich häufig besondere Stärken und Kompetenzen, die im Umgang mit ähnlichen oder vergleichbaren kritischen Situationen sehr hilfreich und unterstützend sein können. Wenn man mehrmals erlebt hat, dass es nach Tiefschlägen letztlich immer wieder nach oben geht, können sich Resilienzfaktoren – in diesem Fall zum Beispiel „Optimismus“ und „Selbstwirksamkeit“ – herausbilden.
Positive Bewältigungserfahrungen spielen sich dabei immer in bestimmten Lebensphasen und Umgebungssituationen ab. In diesen Kontexten sind meist auch andere Personen beteiligt und es handelt sich um ganz spezielle Umgebungsbedingungen, die von den Betroffenen aus der jeweiligen Situation heraus immer auch emotional bewertet werden. Betrachtet man solche Bewältigungsphänomene differenziert, wird man feststellen, dass die positive Bewältigungserfahrung – die zur Ausbildung von Resilienzfaktoren beigetragen hat – zwar meist stark überwiegt, dass aber aus jeder Erfahrungssituation auch negativ besetzte Erfahrungsanteile unbewusst in der Erinnerung haften bleiben. Auch diese negativ besetzten Erinnerungen können in ähnlichen Situationen mit ähnlichen Personen oder bei ähnlichen Verhaltensweisen in der Gegenwart jederzeit wieder wachgerufen werden. Das heißt, was für die Entfaltung von Resilienzfaktoren gilt, gilt auch für die „Nebenerfahrungen“. Und welche Umgebungsbedingungen für die Entfaltung von Resilienz für bestimmte Personen letztlich günstig sind, kann individuell sehr unterschiedlich sein. Klar ist allerdings: Damit Resilienzfaktoren wirklich voll zur Entfaltung kommen können, braucht es Umgebungsbedingungen, die idealerweise weitgehend positiv besetzt sind.
Resilienzfaktoren fallen nicht vom Himmel
Es wird nach wie vor häufig gerne vermittelt, dass Begabungen, Entwicklungspotenziale und Resilienzfaktoren angeboren seien und daher nur sehr bedingt später über Lernerfahrungen entwickelt werden könnten. Eine Vielzahl von Studien aus der Sozialpsychologie1, der Sozialisationsforschung2 und neuerdings aus der Neurobiologie3 und der Resilienzforschung4 zeigt allerdings, dass eine gewisse Grunddisposition zwar von Vorteil sein mag, dass aber die wesentlichen Stellhebel für die Ausbildung von Begabungen, Entwicklungspotenzialen und Resilienzfaktoren vordergründig in einem durchaus – auch temporär nur begrenzten – förderlichen sozialen Umfeld im Entwicklungsverlauf von Menschen zu suchen sind. Es ist die gelebte Begeisterung für Themen, Fertigkeiten oder Tätigkeiten von unmittelbaren Bezugspersonen, aber auch von Menschen, denen man vielleicht nur punktuell begegnet ist. In beiden Fällen ist es die emotionale Hingabe von Menschen für eine Sache, die offenbar ansteckend wirkt und zur Nachahmung einlädt. Stellen sich bei der Nachahmung erste Erfolge ein und wird der Versuch mit Anerkennung belohnt, sind das gute Voraussetzungen, um motiviert dran- zubleiben und auch Rückschläge und Scheiter-Erfahrungen auf dem Weg zum Erfolg aushalten und hinnehmen zu können. Es sind gerade die Rückschläge und Krisen, so unangenehm und schmerzvoll sie in der Situation auch sein mögen, die enorme Entwicklungschancen bieten und die Herausbildung von besonderen Stärken, Begabungen und Resilienzfaktoren ermöglichen.
Plätze, Umgebungen, Menschen werden sympathisch oder unsympathisch, angenehm oder unangenehm, ermutigend oder bedrohlich empfunden. Auch wenn es uns oft nicht bewusst ist, wir neigen dazu, Umgebungssituationen einzuschätzen und zu bewerten: ob der Platz im Restaurant bevorzugt in der Mitte oder doch eher am Rand gewählt wird, ob das im ländlichen Stil mit viel Fichtenholz eingerichtete Zimmer im Hotel als gemütlich oder eher als überladen und beengend empfunden wird oder ob die Ansammlung von Fachkollegen bedrückende Konkurrenzgefühle oder Lust auf fachliche Diskussionen auslöst. Diese wenigen Beispiele machen bereits deutlich, dass Umgebungssituationen für uns emotional besetzt sind, und es kann davon ausgegangen werden, dass sich diese emotionalen Zuschreibungen auf unsere Grundstimmung und auf unser Wohlbefinden auswirken.
Wie kommt es dazu? Stärker als uns oft deutlich wird, neigen wir im Laufe unserer biografischen Erfahrungen dazu, Umgebungssituationen je nach Erfahrungen bewusst oder unbewusst emotional zu bewerten. Diese emotionalen Bewertungserfahrungen speichern wir erinnerungsmäßig ab. In der Gegenwart werden dann in bestimmten Situationen genau diese Erfahrungen aus der Vergangenheit wachgerufen. Das kann sich dann in manchen Situationen auf unser Wohlbefinden positiv, aber auch weniger positiv auswirken. Abhängig vom Persönlichkeitstyp und den Vorerfahrungen sind manche Menschen für solche Erinnerungen stärker empfänglich als andere. Wichtig ist, dass wir uns entsprechende Einflüsse bewusstmachen und bei unseren Handlungsabsichten berücksichtigen5.
Die Bedeutung von förderlichen Umgebungsbedingungen
Umgebungen machen also etwas mit Menschen. Dennoch wird dieser Umstand nach wie vor unterschätzt. Dies gilt für Arbeitskontexte genauso wie auch für Beratungs-, Lern- und Genesungssettings. Aus der Interaktions- und Therapieforschung weiß man, dass es neben der ernst gemeinten Entwicklungs- und Veränderungsabsicht von Klienten/innen auch begünstigende Umgebungsbedingungen braucht (Arbeitsplatz, Familie, Freundeskreis, …), damit Entwicklungen nachhaltig stattfinden können.
Lernen und Entwickeln benötigt immer auch Mut. Mut aber haben wir am ehesten dann, wenn wir uns in unserem Tun bestärkt und bestätigt fühlen, idealerweise von Menschen, die uns wichtig sind. Dabei ist es wichtig, dass sich die handelnde Person wirklich anerkannt und wohl fühlt. Daher braucht es laufend Möglichkeiten zum Austausch, eine regelmäßige ehrliche Würdigung dessen, was jemand leistet, glaubwürdiges differenziertes Feedback, die Schaffung einer guten Vertrauensbasis zur Führungskraft, die Bereitstellung notwendiger Rahmenbedingungen und die Ermutigung zur Entfaltung vorhandener Potenziale und Resilienzfaktoren6.
Doppelbotschaften wie „Sie dürfen hier alles selbst gestalten, aber es müssen schon alle Regelungen sehr genau eingehalten werden“ oder „Nehmen Sie sich ausreichend Zeit für Führung, weil Führung ist uns sehr wichtig, aber das Alltagsgeschäft geht vor“ usw. wirken hierbei natürlich äußerst kontraproduktiv.
Unterstützende Kontextbedingungen zur Förderung von Resilienz schaffen – Worauf Sie konkret achten sollten …
Für mich selbst
- Mir bewusst machen, welche Orte, Umgebungssituationen, Menschen, … für mein Wohlbefinden in der Situation förderlich sind und welche nicht
- Herausforderungen, Aufgaben, Tätigkeiten finden, die meinen Interessen entgegenkommen, in denen meine Potenziale, Stärken und Resilienzfaktoren gefragt sind
- Jene Dinge bevorzugt tun, die mir besonders gut liegen und für die ich mich begeistern kann
- Nur für Arbeit- und Auftraggeber längerfristig tätig sein, die meine besonderen Qualitäten, Potenziale, Stärken schätzen und angemessen würdigen
Für Führungskräfte
- Mit den Mitarbeiter/innen in einen offenen Dialog kommen, in dem auch persönliche Themen, die Anliegen der Mitarbeiter/innen hören und Äußerungen über subjektive Befindlichkeiten Platz haben
- Die Dialoge mit den Mitarbeiter/ innen nutzen, um deren Potenziale, Stärken und Resilienzfaktoren zu erkennen
- Für Rahmenbedingungen sorgen, die die Entfaltung von Potenzialen, Stärken und Resilienzfaktoren der Mitarbeiter/innen besonders fördern
- Für ausreichend Wertschätzung und Anerkennung sorgen
Für Berater/innen
- Potenziale, Stärken und Resilienzfaktoren kommen nur zur Entfaltung, wenn die Rahmenbedingungen dafür geeignet sind
- Die beste Entwicklungsabsicht – auch wenn sie noch so überzeugend klingt – reicht nicht aus, wenn das Umfeld diese Absicht zum Zeitpunkt nicht erkennen kann/will
- Das berufliche und private Umfeld mitdenken und mitberücksichtigen, wenn es um individuelle Entwicklungsabsichten von Begleiteten geht
- Entwicklungsblockaden als wertvollen Hinweis würdigen und die Interventionsvorhaben neu überdenken und der Situation anpassen
- Die Hintergründe für die emotionalen Bewertungen von bestimmten Kontexten in der Biografie eruieren und achtsam mit geeigneten Methoden bearbeiten
Literaturquelle:
1Hildenbrand, Bruno (2010) Resilienz, Krisen und Krisenbewältigung. In: Welter-Enderlin, Rosmarie; Hildenbrand, Bruno (Hrsg.) Resilienz – Gedeihen trotz widriger Umstände. Heidelberg: Carl-Auer, S. 205-229.
2Abels, Heinz (2010) Identität. 2. Au . Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Solms, Mark; Turnbull, Oliver (2009) Das Gehirn und die innere Welt. Neurowissenschaft und Psychoanalyse. 3. Au . Düsseldorf: Patmos.
Spitzer, Manfred (2006) Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Heidelberg: Spektrum.
3Roth, Gerhard (2011) Bildung braucht Persönlichkeit. Wie Lernen gelingt. Stuttgart: Klett-Cotta.
4Hofer, Peter (2017) Krisenbewältigung und Ressourcenentwicklung. 2. Au . Wiesbaden: Springer VS.
5Hahn, Alois (2010) Körper und Gedächtnis. Wies- baden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
6
Wustmann-Seiler, Corina (2012) Beiträge zur Bildungsqualität. Resilienz. 4. Au . Berlin: Cornelsen.