Sie vermitteln Leichtigkeit und Coolness, die Surferinnen und Surfer an den Stränden von Hawaii, Kalifornien oder der Atlantikküste. Auf ihren Boards liegend warten sie auf eine Welle, springen auf und surfen scheinbar mühelos übers Meer. Dennoch: Die perfekte Welle ist selten, der erfolgreiche Ritt darauf noch seltener. Und die Gefahr, sich mitunter auch lebensgefährlich zu verletzen, hoch.
Das Meer ist unberechenbar – und hinter der perfekten Welle steckt ein komplexes Zusammenspiel von Wind, Meeresboden und Gezeiten. So komplex, dass es bisher nicht gelungen ist, sie künstlich herbeizuführen. Wie aber kann es Unternehmen und Organisationen gelingen, auf der Erfolgswelle zu reiten? Auch hier gilt es, bestmöglich mit der Unvorhersehbarkeit zurecht zu kommen. Immerhin ist sie ein wesentliches Element komplexer Systeme. Denn selbst jene Unternehmen, deren Produkte in relativ überschaubaren Prozessen gefertigt werden, bewegen sich in komplexen, dynamischen Systemen. Da sind die Kunden, deren Zuspruch recht kurzlebig sein kann. Die Politik, die Rahmenbedingungen ändert. Der Mitbewerb, der mit neuen, teils disruptiven Technologien alles aufmischt. Und natürlich sind die meisten Organisationen selbst komplexe Systeme.
Viele unserer bisherigen Herangehensweisen tragen allerdings nur bedingt dazu bei, erfolgreich mit unvorhersehbaren Ereignissen umzugehen. Das liegt möglicherweise daran, dass Komplexität mitunter als moderner Begriff für komplizierte Probleme verstanden wird. Und so wird versucht, die Komplexität mit jenen Werkzeugen zu lösen, mit denen komplizierte Herausforderungen gelöst werden: Reinzoomen, in Einzelteile zerlegen und diese Stück für Stück analysieren, indem man möglichst viele Daten sammelt. Das wiederum stellt die Grundlage für möglichst genaue Planungen dar. Je undurchsichtiger die Situation, desto detaillierter fallen diese oft aus. Das gibt – zumindest vermeintlich – Sicherheit. Die moderne Managementliteratur und -praxis bietet dafür jede Menge Instrumente und Methoden. Führen diese nicht zum erwünschten Erfolg, entsteht schnell der Ruf nach neuen Tools.
Nun zeigt aber die aktuelle Komplexitätsforschung (und wohl auch schön langsam unsere Erfahrung), dass Komplexität nicht mit noch mehr Wissen und Methoden überwunden werden kann. Sie lässt sich nicht kontrollieren. Vielmehr macht sie einen anderen Zugang erforderlich, „der das Unvorhersehbare nicht ignoriert, sondern akzeptiert“ (Guido Strunk, complexity-research.com).
Das liegt wohl daran, dass Komplexität durch die Zerlegung in Einzelteile komplex bleibt. Darin liegt ein entscheidender Unterschied zur Kompliziertheit. So ist ein Auto eine sehr komplizierte Maschine. Zerlegt man es jedoch in seine Bestandteile – Motor, Abstandssensor, Scheinwerfer – dann sind diese für die jeweiligen Expert/innen logisch nachvollziehbar. Bei einem komplexen System wie beispielsweise einer Stadt stellt sich schon mal die Frage, in welche Bestandteile man sie sinnvollerweise zerlegt. Und auch dann sind Zuzug, Arbeitsmarkt und politische Stimmung selbst von Expert/innen nicht eindeutig vorhersagbar.
Wie aber kann er gelingen, der erfolgreiche Umgang mit komplexen Systemen? Einen essenziellen Faktor stellt das individuelle Können dar. Hier ist Talent hilfreich, wesentlich ist jedoch systematisches, diszipliniertes Lernen im jeweiligen Fach- und Aufgabenbereich. Das bedingt fundierte Weiterbildung der Mitarbeiter/innen ebenso wie eine auf informellem Austausch und gezieltem Dialog basierende Weiterentwicklung im Arbeitsalltag. Wer in seinem Aufgabengebiet sattelfest ist, kann mit unvorhersehbaren Ereignissen besser umgehen.
Ein wichtiger Regler, der auch das Lernen fördert, ist Feedback. „Es ist der einzige Regelungsmechanismus, den wir in komplexen Systemen haben“ (Borgert, 2015). Dabei entsteht ein Kreislauf: Das Ergebnis jeder Entscheidung ist wiederum Input für die nächste Entscheidung. Dadurch weiß man, ob es an der Zeit ist, den Kurs zu ändern oder bei positivem Feedback die eingeschlagene Richtung beizubehalten.
Hilfreich kann es auch sein, in besonders undurchschaubaren Situationen entgegen dem Trend bewusst das Tempo zu reduzieren. Für den Komplexitätsforscher Guido Strunk ist Komplexität „wie Nebel“. Und da fährt man auch bekanntlich am besten auf Sicht. Versucht, sich zu orientieren, um auf Kurs zu bleiben und im richtigen Moment eine Entscheidung zu treffen.
Wer aber entscheidet über den Kurs? Hier kommt Führungskräften eine wesentliche Rolle zu: Sie geben ihren Mitarbeiter/innen Orientierung über gemeinsame Visionen und gelebte Werte. Stephanie Borgert sieht die Zeit der „Chefs (du cuisine)“ gekommen. Diese können improvisieren, also flexibel und anpassungsfähig agieren. Sie sind erfahren, hadern nicht mit den Bedingungen, sondern nutzen Spielräume. Sie fragen sich nicht „Wie kann ich eine komplexe Organisation managen?“ sondern „Wie kann ich in einer komplexen Organisation managen?“
Anstelle neuer Methoden und Tools braucht es also vielmehr andere Haltungen, um Organisationen erfolgreich durch ein komplexes Umfeld zu steuern. Hier kann man sich durchaus auch am Surfen orientieren: „Ein guter Surfer, ohne Witz, ist der, der am glücklichsten ist im Wasser. Er genießt die Wellen und hat Spaß. Er weiß was er tut, kommt mit verschieden Bedingungen klar, kann mit Vorhersagen umgehen und weiß, wo es am besten hingeht. Ein guter Surfer respektiert andere, egal wie gut jemand surft“, so die beiden Surfblogger Isa und Clemens von coldwatermag.com.
Erfolgreiche Manager/innen in komplexen Systemen
> entwickeln individuelles Können beständig weiter
> initiieren Feedbackprozesse als Regler
> reduzieren das Tempo und fahren auf Sicht
> bleiben flexibel und nutzen Spielräume
>> Buchtipp: „Die Irrtümer der Komplexität. Warum wir ein neues Management brauchen.“ (Gabal Verlag, 2015)