und die Hürden im betrieblichen Alltagskontext
„Selbst- und Eigenverantwortung“ umschließen im gegenwärtigen Verständnis zwei Bedeutungsebenen:
– die Bedeutung, dass jemand aus eigenen Stücken, unaufgefordert Verantwortung für sich auftuende Situationen übernimmt und sich zuständig fühlt,
– aber auch die Bedeutung, dass jemand für sich Verantwortung übernimmt und mit sich selbst verantwortungsvoll und achtsam umgeht.Beiden Aspekten soll hier
Aufmerksamkeit geschenkt werden, da erst die Betrachtung beider Seiten verdeutlicht, dass scheinbar mangelnde „Selbst- und Eigenverantwortung“ nicht immer mangelnde „Selbst- und Eigenverantwortung“ ist. Viel eher ist es eine Frage der Perspektive und des Kontextes, wie Verhaltensweisen interpretiert bzw. wie ausgeprägt Verantwortung übernommen wird.
Selbst- und Eigenverantwortung in organisationalen Kontexten
Wenn „vom Wunsch nach mehr Selbst- und Eigenverantwortung bei den MitarbeiterInnen“ gesprochen wird, so ist damit meistens gemeint, MitarbeiterInnen sollen Verantwortung übernehmen, „unternehmerisch denken“ und sich wahrgenommenen Problemen unbürokratisch annehmen, diese aufzeigen und idealerweise rasch einer unkomplizierten Lösung zuführen. Was im Praxisalltag bedeuten würde, dass oftmals Hierarchien übergangen, Standards und Regeln gebrochen und definierte Prozesse außer Kraft gesetzt werden müssen, will man, dass Schwachstellen und Fehler im System unbürokratisch und unkompliziert aufgezeigt werden.
Das verlangt von den MitarbeiterInnen viel Mut, Risikobereitschaft und das notwendige Vertrauen in das System, dass ihre Initiative auch tatsächlich gewollt ist und vor allem entsprechend gewürdigt wird. Von den Vorgesetzten braucht es Vertrauen und Zutrauen in die Kompetenz der MitarbeiterInnen, konsequenten Rückhalt – unabhängig von den Ergebnissen – und jegliche Vermeidung von Doppelbotschaften. Werden die eben genannten Voraussetzungen von den Vorgesetzten nicht oder nur teilweise erfüllt, so werden gerade jene MitarbeiterInnen, die sich mit dem Unternehmen besonders stark verbunden fühlen, nur sehr zögerlich handeln und sich gut überlegen, ob sie wahrgenommene Probleme oder Schwachstellen aufzeigen oder nicht doch eher darüber hinwegsehen. Sie werden also kein unnötiges Risiko eingehen, sondern im Sinne der eigenen Person und der eigenen Familie Verantwortung übernehmen und sich vorsichtig zurückhaltend verhalten, wie das Gregor im folgenden Beispiel zum Ausdruck bringt. Gregor steht hier für viele MitarbeiterInnen, die es aufgegeben haben von sich aus initiativ zu werden und in betrieblichen Kontexten selbst- und eigenverantwortlich zu handeln:
Gregor hat einfach nur mitgedacht
„Bei uns wird eigenverantwortliches Handeln ganz groß auf die Fahnen geschrieben. Es wird erwartet, dass wir uns zuständig fühlen, wenn wir Probleme wahrnehmen, und sofort Maßnahmen einleiten, wenn Gefahr in Verzug ist. Was bei der Feuerwehr gut funktioniert und von der Bevölkerung, den Kollegen, den anderen Einsatzkräften wirklich begrüßt wird, wenn du anpackst, das Problem angehst und einfach das Beste daraus machst, funktioniert in der Firma nicht. Dabei gäbe es genug verbesserungswürdige Dinge, die meine Kollegen und ich sehen, die man mit einfachen Mitteln rasch lösen könnte. Aber meine Vorgesetzten sehen das nicht so gern, die sind genervt, wenn ich wieder mit meinen Ideen daherkomme. Und wenn ich hartnäckig drauf bleibe, das habe ich auch schon gemacht, dann dauert es ewig lange, bis etwas zurückkommt … wenn überhaupt. Und irgendeinmal gibst du auf. …. Du willst ja nicht immer deinen Vorgesetzten lästig werden. Ich mag nämlich den Job verdammt gerne, und das Unternehmen mit seinen Produkten ist echt super! Daher habe ich dann begonnen, mich etwas zurückzunehmen und nicht mehr wegen jeder Idee oder Kleinigkeit meine Vorgesetzten zu belästigen. Bei der Feuerwehr sind meine Ideen und Überlegungen gefragt, da kann ich diesen Teil ausleben. Außerdem habe ich das Gefühl, dass ich, seit ich mich etwas zurückgenommen habe, bei meinen Vorgesetzten besser ankomme, … glaube ich zumindest?!“
Rein vom Bauch her hätte Gregor seine Lösungsideen und Anregungen im Unternehmen auch weiterhin gerne ausgesprochen und Verantwortung im Sinne des Unternehmens wahrgenommen. Allerdings hat er die Erfahrung gemacht, dass seine Lösungsideen und Anregungen, auch wenn das im Unternehmen offiziell artikuliert wird, nicht wirklich erwünscht sind. Und paradoxerweise, eben weil er die Arbeit besonders mag und weil er sich mit dem Unternehmen stark identifiziert, will er nichts riskieren, nimmt sich zurück und behält seine Verbesserungsideen für sich, als ihm bewusst wird, was seine unmittelbaren Vorgesetzten von ihm eigentlich erwarten und was nicht. Mit seiner Entscheidung gegen das Risiko, sich mit den Vorgesetzten weiter „anzulegen“, handelt er an sich auch höchst verantwortlich, in dem er die Verantwortung für sich selbst und seine Familie übernimmt und sich für einen Weg entscheidet, der zwar nicht seinem Naturell entspricht, aber die Chance erhöht, dass er seinen geliebten Job in der Firma, die er sehr schätzt, nachhaltig behalten wird.
Sie können sicher sein, dieses Beispiel ist kein Einzelfall! Deutlich wird bei diesem Beispiel übrigens, dass die organisations¬kulturellen Rahmenbedingungen entscheidend dafür verantwortlich sind, ob in einem Unternehmen von den MitarbeiterInnen durchgängig Verantwortung wahrgenommen wird oder eben nicht.
Es ist sicher kein Zufall, dass es viele Personen gibt, die im privaten Bereich in der Familie, bei Vereinen oder ehrenamtlichen Institutionen ein hohes Maß an Verantwortung mit großer Selbstverständlichkeit wahrnehmen, im Unternehmenskontext allerdings von diesen Fähigkeiten oftmals kaum etwas erkennbar wird. Das muss doch zu denken geben!
Selbst- und eigenverantwortliches Handeln braucht eine Kultur, die Mitgestalter auch ehrlich will
Wenn Selbst- und Eigenverantwortung wirklich ehrlich gewünscht ist, wird es nicht schwer sein, dieses oftmals brachliegende Potenzial zur Entfaltung zu bringen. Wie bereits angesprochen, Menschen sind es grundsätzlich in ihrem Alltag gewohnt Verantwortung zu übernehmen. Natürlich gibt es Menschen, die sich dabei leichter tun, und Menschen, denen es schwerer fällt. Aber nur wenige Menschen sind gar nicht bereit in ihrem Leben Verantwortung zu übernehmen. Die meisten tun es mit Selbstverständlichkeit, wenn sie ihren Interessen, Hobbys, familiären Pflichten nachgehen, also immer dann, wenn es die Situation von ihnen verlangt. Andere können davon gar nicht genug kriegen und engagieren sich ehrenamtlich bei Vereinen, Institutionen oder anderen Interessens¬gruppierungen. Wieder andere geben gerne Verantwortung ab und sind glücklich, wenn sie nicht all zu oft aus ihrem Schneckenhaus hervormüssen, aber in ihrem Schneckenhaus, da sind die Aufgaben tipptopp gelöst. Kurzum: Menschen, die gar nicht bereit sind Verantwortung zu übernehmen, gibt es nur selten.
Der Hebel ist also nicht so sehr bei den MitarbeiterInnen, sondern in ihrem Umfeld anzusetzen! Es braucht eine enorme Vertrauenskultur und möglichst kein Wetteifern und ausgeprägtes Hierarchiedenken auf der Vorgesetztenebene, damit Einladungen zu selbst- und eigenverantwortlichem Handeln nicht als Worthülsen, sondern als ernstgemeinte Angebote wahrgenommen werden können. Wenn MitarbeiterInnen darauf vertrauen dürfen, dass das, was sie zu sagen haben, wohlwollend und ernsthaft aufgegriffen wird und sie als ExpertInnen vor Ort in Entwicklungsprozesse aktiv eingebunden werden und ihr Engagement ehrlich gewürdigt wird, dann werden die Unternehmensanliegen rasch zu eigenen Anliegen und die Bereitschaft zur Verant¬wortungs¬übernahme wird automatisch ansteigen. Worte alleine genügen dabei nicht! Vor allem die Führungskräfte müssen davon überzeugt sein, dass ihre MitarbeiterInnen wertvolle Gedanken und Impulse bieten können, sie müssen es wollen, dass ihre MitarbeiterInnen mitgestalten und fachlich wachsen, sie müssen die MitarbeiterInnen kontinuierlich dazu einladen sich mit ihren wertvollen Ideen, Anregungen und Wahrnehmungen aktiv einzubringen, sie müssen es auch aushalten, dass ihre MitarbeiterInnen bei Bedarf tatsächlich Hand anlegen und sich zuständig fühlen und sie müssen das Engagement der MitarbeiterInnen, unabhängig vom Ergebnis, würdigen.