Georg Sutter skizziert die Reise eines Unternehmens in Richtung Verantwortungseigentum.
Eigentlich wollten wir nur mehr Selbstbestimmung…
Jetzt stehen wir kurz davor, dass das Unternehmen dem Unternehmen gehört. Eine (noch) unvollendete Geschichte über eine Neuausrichtung, die Kurs auf Sinn nimmt.
Es ist eine abenteuerliche Reise, auf die sich die Belegschaft eines mittelständischen Unternehmens begeben hat. Zu Beginn steht der Wunsch, nicht mehr einfach nur professionell und mit Leidenschaft Aufgaben zu erledigen, sondern die Erfahrung der eigenen Selbstwirksamkeit auf eine neue Grundlage zu stellen. Die Suche nach dem Sinn wird zum treibenden Faktor. Schnell wird klar, dass es dazu einer radikalen Wendung bedarf – weg von Fremdbestimmung hin zu mehr Selbstbestimmung. Getragen vom Prinzip der Selbstverantwortung werden Hierarchien, Prozesse, Strukturen hinterfragt und neu aufgestellt. Die Grundlage dafür wird in einem Aushandlungsprozess entlang den Modulen der Unternehmenssteuerung – beginnend mit der Purpose-, Mission-, Visionsfindung und einer verbindlichen Wertestruktur – gelegt. Darauf aufbauend werden strategische Hebel, Umsetzungsprozesse und Rollenverantwortlichkeiten definiert. Keine statusorientierten Stellenbeschreibungen, keine von oben diktierten Entscheidungen, keine von Führungskräften bestimmten Informationskaskaden mehr!
Meisterprüfung
Die so ausgelöste Dynamik führt die Mitwirkenden dann aber weit über den Gedanken der Selbstbestimmung hinaus. Es kristallisiert sich das Bild einer künftigen Arbeitsumgebung heraus, in der der Arbeitsraum mit der Idee eines qualitativen Lebensraumes verbunden wird: Arbeitszeit ist Lebensqualität. Die notwendigen Aushandlungsprozesse mit dem/der Eigentümer:in münden in dessen/deren Rückzug aus der operativen Geschäftsführung.
Die Umstellung der Organisation und vor allem die damit verbundene Haltungsarbeit entlang des Prinzips der Selbstwirksamkeit ist fordernd. Und immer wieder gilt es, im Prozess der Transformation innezuhalten, zu verlangsamen, zu irritieren und zu orientieren. Menschen, deren eigene Werte nicht mehr mit denen des Unternehmens zusammenpassen, denen die Neuausrichtung mehr Belastung als Ermutigung ist, verlassen das Unternehmen. Andere fühlen sich angezogen von der Möglichkeit, die Arbeitswirklichkeit mitzugestalten. Schließlich geht es für jede:n Einzelne:n auch darum, innehalten zu können und in eine achtsame Selbstführung zu gehen, um dadurch Klarheit für das eigene Handeln zu bekommen. Eine Meisterprüfung von höchster Qualität für alle!
Verantwortungseigentum
Mit zunehmender Dauer des Transformationsprozesses erweist es sich dann als irritierend und zunehmend belastend, dass die Idee der Selbstbestimmung letztendlich unvollendet bleibt, solange die Gewinne, die von den Mitwirkenden erarbeitet werden, dem Unternehmen von einem/einer dem Unternehmen entfremdeten Eigentümer:in entzogen werden. Aus dieser empfundenen „Störung“ heraus beginnt die Auseinandersetzung mit dem Konzept des Verantwortungseigentums.
Dies ist eine Alternative zu herkömmlichen Eigentümerstrukturen. Es ermöglicht die Unabhängigkeit und Werteorientierung eines Unternehmens rechtlich bindend in der DNA – dem Eigentum – zu verankern. In einem solchen Unternehmen bedeutet Eigentum in erster Linie Verantwortung und Verpflichtung zur Gestaltung auf der Grundlage vereinbarter Werte. Unternehmen in Verantwortungseigentum verpflichten sich zu zwei Prinzipien:
1. Selbstbestimmung
Die Stimmrechte, das „Steuerrad“ des Unternehmens, liegen bei aktiven Unternehmer:innen und Menschen, die mit den Werten des Unternehmens innerlich verbunden sind. Sie übernehmen die unternehmerische Verantwortung für das Handeln, die Werte und das Vermächtnis des Unternehmens als Treuhänder:innen für das Unternehmen.
2. Vermögensbindung/Sinnprinzip
Die Gewinne sind Mittel zum Zweck und nicht Selbstzweck. Das Vermögen des Unternehmens ist nicht von Gesellschafter:innen privatisierbar bzw. verwertbar, sondern bleibt an das Unternehmen gebunden. Die Gewinne und das Unternehmensvermögen sind damit Mittel zur Erfüllung und Weiterentwicklung des Unternehmenszwecks und nicht reiner Selbstzweck. Das Ergebnis: Das Unternehmen gehört sich selbst!
Ein langer Weg
Sinn und Wertefokus, langfristige Orientierung, Stakeholder-Bindung und das bindende Versprechen an Mitarbeiter:innen, Kund:innen und Geschäftspartner:innen, dass die Zusammenarbeit dem Unternehmenszweck dient und nicht dem finanziellen Nutzen der Eigentümer:innen – das ermöglicht den Mitwirkenden des Unternehmens eine komplett andere Motivation und Identifikation. Heute stehen sie in den „Endverhandlungen“ mit dem/der bisherigen Eigentümer:in. Die sich aus dem Wunsch nach Selbstbestimmung in der Arbeit eröffnende Perspektive ist attraktiv. Der eingeschlagene Weg erfordert aber auch Mut und Ausdauer. Und noch ist es nicht so weit! Aber unabhängig davon, wie die Reise enden wird, verdichtet sich schon jetzt eine prägende Erfahrung. Nämlich, dass die Wirkung eines zugrundeliegenden Purpose ein nicht erahntes Potenzial an Leidenschaft und unternehmerischem Willen auslöst. Die bisher für das Anliegen investierte Arbeitszeit ist schon jetzt sinnerfüllte Lebenszeit.