Wie können Menschen in einer hochdynamischen VUKA-Welt souverän wirksam sein und gleichzeitig gesund bleiben? Welche Fähigkeiten und Resilienzfaktoren sind dafür hilfreich, um die vorhandene Dynamisierung und Komplexität nicht zu trivialisieren, aber auch nicht in panikartige Ohnmacht zu geraten? Kann dieses Umfeld vielleicht sogar als Nährboden für Resilienzentwicklung genutzt werden? Und was bedeutet das alles für das Thema Führung?
Das Konzept der Resilienz beleuchtet die Fähigkeit, sowohl Krisen und Veränderungen als auch tägliche Stress-Situationen stark und sicher bewältigen zu können, ohne dadurch Schaden an der seelischen Gesundheit zu nehmen bzw. im Idealfall sogar dadurch gestärkt zu werden. Gerade in Zeiten von VUKA (Volatilität – Unsicherheit – Komplexität – Ambiguität) wird Resilienz zu einer zentralen Bewältigungskraft, um die permanente Veränderungsdynamik, die hohe Komplexität, mehrdimensionale Spannungsfelder und die digitale Reizüberflutung konstruktiv und gesund gestalten zu können.
„Selbstverantwortung“ gilt als einer der zentralsten Resilienzfaktoren und bekommt besondere Bedeutung, wenn es in Unternehmen um die Bewältigung der zunehmenden Dynaxity, also der gleichzeitigen Zunahme von Komplexität und Dynamik geht. Das bedeutet, dass sich jede/r Einzelne in eigener Verantwortung konsequent an den sich rasch wandelnden Bedürfnissen der Kunden ausrichtet, die ganze Wertschöpfungskette im Blick behält und sich selbst für wechselnde Aufgaben fit macht.
Auch wenn sich immer mehr die Einsicht durchsetzt, dass keine Hierarchie der Welt in der Lage ist, die „Dynaxity“ zu bewältigen, finden viele Mitarbeitende nach wie vor häufig Managementpraktiken vor, die von oben nach unten wirken sollen. Das Konzept einer individualisierten Selbstführung wird für viele hiermit zu einer unerfüllbaren Paradoxie und Überforderung und damit zu einer Quelle der Demotivation.
Will man also Selbstverantwortung, so verlangt dies einen radikalen Change im Selbst- und Fremdverständnis von Führung. Agile Führung bedeutet, Führungsverantwortung auf dezentrale, selbst organisierte Einheiten zu übertragen. Dies fordert von Führungskräften, sich von alten hierarchischen Bildern zu lösen, Gestaltungsideen, die an Macht gekoppelt waren, loszulassen und ein neues Selbst- und Führungskonzept im Sinne von „shared leadership“ als geteilte Verantwortung zu etablieren. Konnten bisher das Selbstkonzept und Selbstwertgefühl über die hierarchische Position, das Verteilen von Aufgaben und das häufig alleinige Treffen von Entscheidungen genährt werden, fallen diese Stärkungsfaktoren nun weg. Gelingt es allen Rollenträger/innen, dies nicht als Entmachtung und Orientierungsverlust, sondern als neue Kooperationsform mit gemeinsam getragener Verantwortung und enormem Innovationspotenzial zu sehen, kann agiles Führen kraftvoll und resilienzstärkend wirken.
Radikale Selbstverantwortung bei allen Playern gelingt in Systemen mit tragfähigen Beziehungen, hohem Vertrauen, Kooperationen auf Augenhöhe und einer offenen Feedback- und Dialogkultur. Auf persönlicher Ebene sind hohe Reifegrade sowohl im Hinblick auf Kompetenz, Lösungsorientierung und Eigenverantwortung gefragt.
Innere Stärke in äußerer Unsicherheit gewinnt zunehmend an Bedeutung. Innere Stärke bedeutet dabei nicht nur Selbstwert und Selbstwirksamkeit, sondern vor allem auch die Fähigkeit zur Selbststeuerung. Mehr denn je benötigen wir Reflexionsfähigkeit für uns selbst und für Systemdynamiken. In hoch komplexen Nebelsituationen braucht es Achtsamkeit, Rationalität, Kreativität und Intuition, um zu kongruenten Entscheidungen zu kommen. Dabei müssen wir uns von der Idee lösen, dass Entscheidungen immer zu 100% richtig sein müssen. Iterative Prozesse brauchen Menschen, die Lust und Freude am Ausprobieren haben, die Scheitern nicht als Versagen, sondern als Lernaufgabe sehen und ihre Ängste und Unsicherheiten annehmen und steuern können.
Die Digitalisierung durchdringt unser Leben und bietet viele Möglichkeiten – auch Entlastungen, die Sogwirkung zu einer always-on-Haltung mit hohem Tempo ist jedoch enorm. Matthias Horx bezeichnet Achtsamkeit als den entscheidenden Zukunftstrend. Volles Gewahrsein im Hier und Jetzt und reflektierte Bewusstheit für sich selbst und andere erweitern die eigene Selbstwirksamkeit und Handlungssouveränität.
Zusätzlich müssen Rollenträger/innen auf allen Ebenen lernen, mit Widersprüchlichkeiten, Spannungsfeldern und komplexen Zusammenhangsgeflechten sicherer umzugehen – diese erzeugen zumeist Druck und Spannung. Die Herausforderung ist, Ambiguitäten und hoch wirksame Spannungsfelder mit gesunder Flughöhe wahrzunehmen und dabei nicht in einen kurzfristigen Entweder-Oder-Modus zu kippen. Sich den verschiedenen Seiten zuzuwenden, die unterschiedlichen Polaritäten nicht wegzudrücken, sondern den Spannungsdruck in Schwebe zu halten und dabei iterativ in kleinen Schritten voranzukommen. Und dabei Akzeptanz von Unveränderbarem, Nicht-Steuerbarem und Nicht-Auflösbarem zu entwickeln.
Resilienz wird vor allem mit Veränderungsfähigkeit, Zukunftsorientierung und Chancen in Verbindung gebracht – vergessen wir dabei aber nicht, dass jedes Wachsen Wurzeln braucht und wir Veränderungen mit innerer und äußerer Stabilität am ruhigsten durchschiffen. Rituale, vertrauensvolle Beziehungen im Job und privat, authentisch mit den eigenen Werten und dem Unternehmenspurpose, aber auch meinem Lebenssinn zu sein, schafft Kraft für Zukunftsgestaltung, Leistungsfähigkeit und Dynamisierung.
Resilienz als seelische Widerstandsfähigkeit beschreibt folgende Aspekte:
- An Krisen und herausfordernden Lebensereignissen nicht scheitern, sondern daran wachsen und gestärkt daraus hervorgehen.
- Nach erlittenen potenziell traumatisierenden Ereignissen und schwierigen Lebenssituationen wieder in eine gesunde Funktionsfähigkeit und Lebensqualität zurückkommen.
- Mit den täglichen Belastungen, Stressfaktoren und kontinuierlichen Veränderungs- und Anpassungsleistungen integrativ und konstruktiv umgehen können.