Eine Notwenigkeit neu Maß zu nehmen?
„Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Maß, wenn er mich trifft, während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen in der Meinung, sie passten auch heute noch.“ (George Bernard Shaw)
Die Anforderung an viele Unternehmen, sich dynamisch und flexibel an sich rasch verändernde Situationen anzupassen, erfordert nicht nur agilere Methoden und Strukturen, sondern auch eine diesem agilen Kontext entsprechende Führungskultur. Sollen Führungskräfte in eine agilere Haltung gelangen, so bedeutet das, alte Denkmuster und Verhaltensweisen abzulegen und veränderte Wege zu beschreiten.
Dies führt zu der Frage, wie Führungsinstrumente diese oftmals notwendigen Veränderungsprozesse unterstützen können.
Das Mitarbeitergespräch im traditionellen und weithin bekannten Sinne ist in seinem Kommunikationsprozess top-down angelegt, was klare hierarchische Strukturen im Sinne einer klassischen Aufbauorganisation voraussetzt. Ziele werden dabei allerdings zum Teil von „oben“ vorgegeben, auch Entscheidungen werden oftmals alleine „oben“ getroffen, auch wenn die dafür hilfreiche Praxiserfahrung und Expertise eigentlich viel weiter „unten“ anzutreffen wäre.
Im schlechtesten Falle sind die MitarbeiterInnen dabei mehr auf ihre Vorgesetzten und die Geschäftsführung ausgerichtet als sich bewusst auf die Kunden des Unternehmens zu fokussieren.
In agilen Strukturen wird ja mit dem Ziel erhöhter Reaktions- und Anpassungsfähigkeit diese Ausrichtung sozusagen auf den Kopf gestellt. Statt „Erfreue deinen Vorgesetzten“ lautet hier der Leitsatz „Erfreue deinen Kunden“, indem die Verantwortung viel näher an die operative Basis verlegt wird. Es sind ja vor allem interdisziplinäre Teams, wo aus ganzheitlicher Unternehmenssicht die kundenspezifische Fachkompetenz und die höchsten Erfahrungswerte zu finden sind.
Gemeinsam erfolgreich für den Kunden zu agieren – dafür braucht es nachvollziehbare und gestaltbare Ziele und die Chance, Potenziale optimal einbringen zu können. Konsequent gedacht sind es also Werte wie Selbstverantwortung und Kooperation, die gestärkt werden müssen.
Fördern klassische Mitarbeitergespräche eher die persönliche Zielverfolgung und Weiterentwicklung sowie die Beziehungsqualität zur direkten Führungskraft, so sind in agilen Strukturen viel umfassendere Kommunikationsprozesse nötig, die der reduzierten Hierarchie und verstärkten Teamorientierung gerecht werden. Neben den einzelnen Persönlichkeiten müssen hier auch die Teamprozesse und –qualitäten weiterentwickelt werden.
Förderung einzelner MitarbeiterInnen durch agiles Feedback
Sollen Eigeninitiative, Selbstverantwortung und Verbindlichkeit als zentrale Haltungen einer agilen Handlungskultur gestärkt werden, so bedarf das eines permanenten Feedback-Prozesses anstatt einer jährlichen Beurteilung und Rückmeldung. Das ist keineswegs neu und macht auch im Kontext des weithin gelebten Mitarbeitergespräches nur in dieser Weise Sinn, weil Entwicklungsprozesse nicht nur einen Anstoß, sondern viele und beständige Impulse benötigen.
Ein differenziertes und offenes Feedback der jeweils zuständigen nächsten Verantwortungsebene ist eine ideale Plattform, um die MitarbeiterInnen regelmäßig zur Selbstreflexion anzuregen und damit persönliche Potenzialentfaltung sicherzustellen.
Umgang mit Zielvereinbarungen und kontinuierlichen Evaluierungsprozessen
Was allerdings den Zielprozess betrifft, so braucht es hier bei weitem mehr Flexibilität und Anpassungsbereitschaft als bisher. Wurden Ziele bisher mit einem sehr hohen Verbindlichkeitsgrad vereinbart und festgezurrt, so muss dies in Zukunft einem viel dynamischeren Prozess weichen.
Die Prioritäten der Arbeit sollten engmaschig besprochen und reflektiert werden, was sicherstellt, dass der/die MitarbeiterIn ausreichend Orientierung hat, um seine/ihre Rolle voll auszufüllen, und er/sie gleichzeitig auch jederzeit flexibel auf Veränderungen reagieren kann.
Zudem werden in einem agilen Umfeld Ziele oftmals durch die Prozesse vorgegeben und daher auch eher auf Teamebene zu verfolgen sein.
Förderung des gesamtunternehmerischen Denkens – Ergänzung durch übergreifende Dialogräume
In einer auf den Kunden ausgerichteten Geisteshaltung bedarf es auch einer vertrauensvollen Zusammenarbeit der gesamten Prozesskette im Unternehmen – und das auf gleicher Augenhöhe. Dafür braucht es unbedingt regelmäßige Räume für diesen übergreifenden Dialog von unterschiedlichen Teams, in denen die gemeinsamen Erfolge, aber auch Versäumnisse ebenso offen diskutiert werden wie die Qualität der Zusammenarbeit. Ein ehrlicher Feedback-Prozess kann hier die wesentliche Basis für das Empfinden gemeinsamer Erfolge aufbereiten.
Dieser Part ist in klassischen Mitarbeitergesprächen völlig ausgespart, da es hier ja ausschließlich um die Zusammenarbeit in der hierarchischen Linie geht. Da diese aber in agilen Strukturen immer mehr durch eine Vielzahl von interdisziplinären Teams ersetzt wird, ist hier die Ergänzung durch übergreifende Dialogräume unerlässlich.
Das Mitarbeitergespräch – das richtige Maß durch eine lebendige Reflexions- und Feedbackkultur
In klassischen hierarchischen Strukturen hat sicher auch die traditionelle Form der Mitarbeitergespräche ihre Berechtigung.
Es sollte aber bewusst sein, auch diese entfaltet ihren besonderen Wert in der Mitarbeiterentwicklung erst dann, wenn auf das strukturierte Jahresgespräch ein fortlaufender Feedback- und Reflexionsprozess aufgebaut wird.
In zunehmend agileren Strukturen, die sich darin ausdrücken, dass viel Verantwortung auf die Ebene von interdisziplinären und auch immer wieder wechselnden Teams verlagert wird, braucht es hingegen ein flexibleres Kommunikationsmodell, welches einen dynamischen, am Kundenbedarf orientierten Feedback- und Reflexionsprozess – auch auf Teamebene – sicherstellt. Diese Gespräche können durchaus auch von den MitarbeiterInnen angestoßen werden und sollten das gemeinsame Leistungs- und Innovationspotenzial bestmöglich erschließen. Der Erfolg folgt dann von selbst!