Wie neue Bildungsformate zu Ko-Kompetenz führen
Stellen Sie sich vor: Eine Fußballelf bereitet sich auf den Saisonstart vor. Der Trainer schickt Teile der Mannschaft auf verschiedene Seminare und Fortbildungen. Die Stürmer besuchen ein Stürmer-Seminar. Die Mittelfeldspieler gehen auf einen Mittelfeld-Kongress. Die Verteidiger nehmen an einer Verteidiger-Fortbildung teil. Von den vielversprechenden Bildungsmaßnahmen zurückgekehrt wundert sich der Coach, dass das Team nicht in der Lage ist miteinander zum Erfolg zu kommen. Kaum zu glauben, aber vielfach funktioniert Personalentwicklung genau so. Es geht aber auch anders…
Im Bereich der Fortbildungen wird sich ein Wandel einstellen. Warum? Weil immer öfter die alles entscheidende Frage zu stellen ist: In welchem Ausmaß tragen die Bildungsmaßnahmen, in die wir investieren, zur Verbesserung und zur Weiterentwicklung unseres (Dienstleistungs-)Produkts bei? Viele Unternehmen stellen diese Frage erst gar nicht. Möglicherweise auch deshalb, weil die Überprüfbarkeit eine gar nicht so angenehme Übung darstellt. In den wenigsten Fällen sitzen tausende Zuschauer auf den Rängen und sehen dem Treiben zu.
Am schlimmsten verhält es sich dort, wo Bildungsmaßnahmen noch immer als Belohnungssysteme missbraucht werden. „Ihr Engagement im letzten Jahr soll eine ausreichende Anerkennung finden. Suchen Sie sich bitte eines unserer Angebote aus dem umfangreichen Bildungskatalog!“ Ein „umfangreicher Bildungskatalog“! Grundgütiger, das klingt nach Versandhandel-Bildung ohne Sinn und Zweck.
Eine willkommene Gelegenheit, dem Ziel von Weiterbildung etwas auf den Zahn zu fühlen. Bildungsmaßnahmen – vor allem solche, die vom Arbeitgeber finanziert werden – können nur einer Absicht folgen: der Weiterentwicklung der Wissens- und Handlungskompetenz des Unternehmens.
Was heißt das? Vor allem in Know-how-getriebenen Unternehmen ist die Erkenntnis schon vor längerer Zeit angekommen: Die Zeit der einsamen Wölfe und egoman agierenden Einzelkämpfer ist vorbei. Das Leuchten der vermeintlichen Stars, um die sich das gesamte restliche Unternehmen wie auf einem Orbit zu bewegen hat, im Extremfall die Kunden obendrein, stellt kaum noch einen erhellenden Beitrag dar. Wollen Unternehmen erfolgreich sein, dann ist es die flexible und reaktionsschnelle Koordination der Spezialisten, die es zu beherrschen gilt. Das Profil der Allrounder verblasst. Das Bild der Experten wird in seinen Farben kräftiger.
Experten agieren auf zwei Ebenen: Erkenntnisebene und Handlungsebene
Auf der Erkenntnisebene geht es darum, dem letzten Stand des Wissens zu entsprechen. Am neuesten Stand zu sein bzw. sich in einem Netzwerk zu bewegen, dessen Kooperationspartner man auch ist.
Solcherlei Verbindungen sind meist weit über die Unternehmensgrenzen hinaus, nicht selten international, geflochten. Bildungsmaßnahmen auf dieser Ebene können durchaus den klassischen „Off-the-Job-Charakter“ haben. Wenngleich sich auch hier der Anspruch rasant verändert. Es heißt Abschied nehmen von der typischen Kongress-Dramaturgie. Sechs 40-Minuten-Vorträge, in Ermangelung der notwendigen Zeitdisziplin auf 55 Minuten ausgedehnt. Dann 5 Minuten halbherzige Diskussion mit „Ja-no-na-net-Fragen“ aus dem Auditorium. Mit etwas Glück haben die Veranstalter vorgebeugt und Frager ins Publikum gesetzt.
Die Notwendigkeit geht in eine ganz andere Richtung: Zum Start ein 60- bis 90-minütiger kräftiger Impuls, Key-Note genannt. Dann Diskussion ohne Podium und Inszenierung. So kommen die Teilnehmenden ins gemeinsame Denken und Pulsieren. Ist für die Veranstaltung ein ganzer Tag vorgesehen, dann folgen diesem Impuls 15-minütige Kurzvorträge mit 45-minütigem Austausch.
Es dreht sich also um. Sind die klassischen Angebote noch immer derlei gestaltet, dass langen Seminarinhalten kurze Diskussionen folgen, so sind die neuen Angebote das ganze Gegenteil. Kurzen Inputs folgen ausführliche Diskussionen. Und das nicht auf den Brettern des Podiums, sondern zwischen den Teilnehmenden. Ein bemerkenswertes Beispiel für diese Form der Wissensvermittlung zeigen die über youtube© abrufbaren TED-Talks.
Wie sieht es auf der Handlungsebene aus?
Das Lösen komplexer Herausforderungen braucht nicht nur die Wissens-verknüpfung. Es bedarf zunehmend professionell agierender Handlungsnetzwerke. Netzwerke von Subspezialisierten, deren Tun in perfekter Abstimmung ineinander greift und sich zu einer Gesamtleistung modelliert. Smart-Mesh, so wird ein solches Netzwerk fachsprachlich genannt.
Wer offenen Auges auf den Markt sieht, dem bleibt es nicht verborgen: Es gibt sie schon, diese Geflechte. Auch hat man ihnen bereits Namen gegeben. Sie hören auf Bezeichnungen wie Experten-Boards, Produkt-Konferenzen, Interdisziplinäre Prozessbesprechungen, Interprofessionelle Teams und viele andere mehr.
Damit diese Expertennetzwerke handeln können, professionell handeln können, bedarf es der Verknüpfung auf einer weiteren Ebene. Vernetztes Handeln benötigt mehr als vernetztes Wissen. Es braucht die gemeinsame Vorstellung über eine zu erbringende Dienstleistung. Die Fähigkeit also, das angestrebte Handeln imaginieren zu können. Anders formuliert: Es bedarf einer gemeinsamen Vorstellung davon, was man denn gemeinsam tun möchte. Solcherlei Bilder entstehen aber nicht im Kreise von Menschen, die außer dem Besuch einer Fortbildung oder eines Kongresses sonst nichts miteinander am Hut haben. Die sich zwar miteinander bilden, nicht aber zusammen eine Dienstleistung imaginieren, um gemeinsam handeln zu können.
Neue Impulse, neue Formate
Dazu bedarf es ganz anderer Maßnahmen. Dazu bedarf es des Zusammenführens jener Menschen, die in der Folge auch ko-kompetent agieren. Was zeichnet diese Formen der Personalentwicklung aus?
1. Sie sind Impulse und Ideenquellen.
2. Sie sind kurz und konzentriert.
3. Sie sind alles, außer gewöhnlich.
4. Sie sind kurzweilig und finden in entspanntem Rahmen statt.
5. Sie sind zeitgleich an die Menschen gerichtet, die auch gemeinsam handeln.
6. Sie sind Anstoß und bringen das Unternehmen synchron in Bewegung.
Hier einige Beispiele:
>> Brownbag-Session
Als „Brownbag-Session“ oder „Brownbag-Seminar“ werden unternehmensinterne Veranstaltungen bezeichnet, bei denen die Teilnehmenden Speisen und Getränke (insbesondere in den USA typischerweise in braunen Papiertüten, also „brown-bags“ verpackt) mitnehmen können. Die Atmosphäre ist informell und soll die Teilnehmenden dazu anregen, sowohl mit den Rednern als auch untereinander ins Gespräch zu kommen. Mittelpunkt ist ein 10 bis 20 minütiger Input zu einem brandaktuellen oder zukunfts-orientierten Thema.
>> Kabinenansprache oder Short-Speech
Die Länge einer Rede korreliert nicht zwingend mit ihrer Qualität. Viele berühmt gewordene Reden haben kaum länger als 10 bis 15 Minuten gedauert. Manchmal noch kürzer. Aber auch die Kürze ist nicht immer ein Qualitätsgarant, wie die eine oder andere Ansprache anlässlich der Oscar-Verleihung beweist. Typische Beispiele für solche Short-Speeches sind die sich wachsender Beliebtheit erfreuenden Video-Kolumnen und Podcasts. Immer öfter nutzen Unternehmen diese Form der Know-how-Vermittlung. Auch bei Veranstaltungen: Input. Austausch. Erkenntnis.
>> Non-Stop-Speech
Diese Form der Wissensvermittlung ist eine Abwandlung der Short-Speech. Um möglichst vielen Mitarbeitenden die Chance zu geben, sich über besonders wichtige Veränderungen im Unternehmen zu informieren, wird ein oder zwei Tage lang, die Information im Stunden- oder Halbstunden-Takt live vermittelt. So ist es den Mitarbeitenden jederzeit möglich, sich für kurze Zeit – und der eigenen Arbeitsorganisation angepasst – auszuklinken und die Informationsveranstaltung zu besuchen. Bei professioneller Organisation ist es möglich, an ein bis zwei Tagen mehrere hundert bis tausend Mitarbeitende zeitgleich zu informieren. Der Vorteil liegt auf der Hand. Idente Informationen werden innerhalb kürzester Zeit an das gesamte Unternehmen vermittelt. Damit gelingt es, dem störenden Mief der Gerüchteküche erfolgreich zu begegnen.
>> Keynote
In den letzten Jahren etabliert sich diese Art der Veranstaltung immer mehr. Zunächst eher aus dem Kongressbetrieb bekannt, entdecken Unternehmen in wachsendem Maße den Nutzen solcher Impulsveranstaltungen. Dazu werden so genannte Keynote-Speaker eingeladen, um bei einer größeren Veranstaltung zu gegenwarts- und zukunftsrelevanten Themen Impulse zu geben. Gute Speaker kosten Geld. Betrachtet man aber die hervorragende Streuung und den damit verbundenen Mengenvorteil, dann wird ein erstaunlicher Kosten-Nutzen-Faktor deutlich. Fünfzig, hundert ja sogar bis zu tausend Mitarbeitende können an einer Key-Note teilnehmen. Das Thema wird allen identisch vermittelt. Die Zeit des Transfers ist kurz und hoch konzentriert. Es folgen weder Podiumsdiskussion noch Bühneninterview. Zentrales Ziel ist es, möglichst viele Mitarbeitende mit einem brandaktuellen Thema vertraut zu machen und ungezwungen in Austausch zu bringen. Der Gesamtaufwand beträgt selten mehr als zwei Stunden. Die Veranstaltung findet außerhalb der Betriebszeit der Unternehmen statt. Der Nutzen ist intensiv, weil durch die komprimierte Organisationsform alle Mitarbeitende gleichermaßen ins Gespräch kommen. So erfolgt ein Anstoß und das gesamte Unternehmen wird auf erstaunliche Weise in Bewegung gebracht.
Und … Tor!