Leadership-Programme prozesshaft und praxisnah gestalten
Führungskräfte-Entwicklungs-Programme hat es im betrieblichen Umfeld immer gegeben. Die Tendenz geht hier zu einer durchgängigen Begleitung der Lehrgangsgruppe über mehrere Module vom Start bis zum Ende. Die Überlegung ist dabei, dass die TeilnehmerInnen – je nach Auftraggeber-Anliegen – klar definierte Module mit Themenschwerpunkten durchlaufen, dass diese aber von 1-2 BegleiterInnen über den gesamten Entwicklungsprozess begleitet werden und sich die Themenwahl stark an den unmittelbaren Anliegen der TeilnehmerInnen und deren Herausforderungen im Praxisalltag orientiert.
Eine Lernform mit höchstmöglichem Praxisbezug auf gleicher Augenhöhe
In diesem Prozess wird nicht nur auf die vorgebrachten Anliegen der TeilnehmerInnen intensiv eingegangen, sondern es werden gezielt auch deren Vorerfahrungen und deren vorhandenes Wissen genutzt und ein Lernen voneinander ermöglicht und gefördert. Dadurch findet eine praxisnahe und situationsgerechte Auseinandersetzung in der Lehrgangsgruppe statt, die die tatsächlichen Unterstützungsanliegen der TeilnehmerInnen gut abdecken kann. Der/die BegleiterIn nimmt dabei auch eine Impulsgeberrolle ein, jedoch arbeitet er/sie zu einem hohen Anteil moderierend und sorgt für den roten Leitfaden und ein gutes Lernsetting. Auch sorgt er/sie für eine angenehme Gestaltung und Dramaturgie der Veranstaltungen, lässt dabei aber viel Raum für Diskussionen, für Erfahrungsaustausch und offene inhaltliche Auseinandersetzungen.
Curricula mit hohem Praxisbezug und der Förderung individueller Entwicklungsanliegen
Es werden in der Regel Gruppen mit 6-18 TeilnehmerInnen bei ihrem Entwicklungsprozess von 1-2 BegleiterInnen (je nach Gruppengröße) über einen längeren Zeitraum (z.B. 1-2 Jahre) begleitet. Der gesamte Prozess wird getragen von mehreren fix definierten Modulen mit inhaltlichen Schwerpunktthemen, die im Vorfeld definiert werden und 1,5 bis 2 Tage dauern. Dazwischen gibt es individuell gewählte Praxisaufgaben, selbstorganisierte Peer-Groups und, je nach Bedarf, Einzel- und Gruppencoachings. Die Module sind so aufgebaut, dass der Reflexion von akuten individuellen Fallsituationen aus dem Alltag und den Erkenntnissen aus den gewählten individuellen Praxisaufgaben ausreichend Platz eingeräumt wird. Die Module werden von der Begleitung zwar nach einem Leitfaden, aber dennoch sehr offen gestaltet. Viel Zeit wird am Anfang dem Gruppenbildungsprozess gewidmet, um ein gutes Lernklima zu schaffen, in dem sich die Lernenden wohl und sicher fühlen und zu einem selbstorganisierten aktiven Lernen angeregt und ermutigt werden. Die TeilnehmerInnen sollen in die Lage kommen, Wissensrecherchen selbstständig und aktiv durchzuführen. Besonders intensiv wird auf die Vorerfahrungen und das Vorwissen der TeilnehmerInnen eingegangen, damit der enorme Wissenspool für die ganze Gruppe verfügbar wird.
Unterschieden wird zwischen Curricula mit TeilnehmernInnen, die als Team auch im Praxisalltag zusammenwirken (siehe Artikel „Workshops mit Führungsteams“), und offenen Curricula, also mit TeilnehmerInnen, die zwar aus dem selben Unternehmen kommen, aber im Praxisalltag maximal punktuell miteinander zu tun haben.
Die Vorteile von offenen Curricula liegen in der Möglichkeit, andere Bereiche, Abteilungen und ihre Fragen und Problemstellungen kennenzulernen, wodurch die TeilnehmerInnen ein besseres Verständnis für die tatsächlichen Herausforderungen der einzelnen Bereiche und Abteilungen entwickeln können und dadurch, neben einem abteilungsübergreifenden Denken, auch ein reibungsloserer Umgang im Alltag gefördert wird. Es wird also quasi als Nebenprodukt parallel an einer informellen übergreifenden Vernetzung gearbeitet und es werden stereotype Fantasien über andere Abteilungen und Bereiche abgebaut. Außerdem lässt sich feststellen, dass es auf die TeilnehmerInnen sehr entlastend wirkt festzustellen, dass andere Abteilungen „auch nur mit Wasser kochen“ und mit ähnlichen Fragen und Problemstellungen beschäftigt sind.
Die Nachteile von offenen Curricula liegen sicherlich in der verminderten Möglichkeit, bereichs- und abteilungsinterne Entwicklungsprozesse in diesem Rahmen zusätzlich vertiefend bearbeiten zu können. Dies geht maximal über Anregungen und Impulse bei selbst gestellten Praxisaufgaben, die die einzelnen TeilnehmerInnen in ihr Team „zu Hause“ einbringen und auf diese Weise Entwicklungsprozesse anstoßen können.
Beispiel 1: Begleiteter Reflexionsprozess als Curriculum
Diese Begleitungsvariante hat sich sowohl mit offenen Gruppen wie auch mit Teams gut bewährt. Die Themenschwerpunkte der einzelnen Module werden, gemeinsam mit den Auftraggebern, im Vorfeld abgeklärt und im laufenden Begleitungsprozess in Abstimmung mit den Auftraggebern und TeilnehmerInnen an die aktuelle Situation und den aktuellen Bedarf angepasst. Die Auftraggeber und Vorgesetzten der TeilnehmerInnen werden in Form von Kamingesprächen oder gemeinsamen Reflexionssequenzen bei Bedarf miteinbezogen. Die im ersten Modul fixierten Arbeits- oder Intervisionsgruppen treffen sich zwischen den Modulen zur Reflexion und Bearbeitung gemeinsamer Fragestellungen und nehmen bei Bedarf Gruppen-Coachings in Anspruch. Ebenfalls angeboten werden Einzel-Coachings, Persönlichkeitsanalysen und individuelle Unterstützung bei herausfordernden Problemstellungen.
Ebenfalls um einen längeren Begleitungsprozess, in dem intensiv an den Alltagsthemen der TeilnehmerInnen gearbeitet wird, handelt es sich bei der folgenden Variante. Der Refle-xionsprozess mit Gruppen-Coaching startet mit einer gemeinsamen Auftaktveranstaltung in einem größeren Rahmen mit 15-18 Personen. Bei dieser Einstimmungsveranstaltung geht es einerseits um Basisinhalte, das Kennenlernen bestimmter Modelle, Werkzeuge und Methoden, die für ein vertiefendes Arbeiten in den Coaching-Gruppen förderlich sind, und andererseits um das Zusammenfinden von Personen in Kleingruppen mit 5-6 Personen, die bereit sind, sich über einen längeren Zeitraum in den sogenannten Coaching-Gruppen mit praxisnahen Frage- und Problemstellungen intensiv auseinanderzusetzen. Zwischen den Treffen werden individuell gewählte Transferaufgaben bearbeitet und die Erfahrungen daraus in den Gruppen-Coachings gemeinsam reflektiert.
Der Stellenwert eines förderlichen Lernumfeldes
Der Stellenwert eines förderlichen Lernumfeldes wird oftmals unterschätzt. Der Wohlfühlfaktor beeinflusst wesentlich unsere Bereitschaft, uns auf Lernprozesse einzulassen und uns aus der Komfortzone herauszuwagen. Die größten Lernfortschritte machen wir dort, wo es uns gelingt, uns auf Neues, Fremdes, Unbekanntes einzulassen und den Mut aufzubringen, in anderen Dimensionen zu denken und Verhaltensvarianten auszuprobieren. Es macht einen großen Unterschied, ob wir wissen, dass Fehler, Schwächen und andere Unzulänglichkeiten toleriert und mit einer gewissen Selbstverständlichkeit mitgetragen werden oder ob wir uns von Konsequenzen bedroht fühlen oder Angst haben, von anderen herablassend belächelt und abgewertet zu werden.
Lernen ist immer mit einem gewissen Risiko des Scheiterns verbunden, vor allem dann, wenn wir uns auf völlig unbekannte und fremde Lernfelder vorwagen. Immer dann, wenn wir verunsichert sind oder uns bedroht fühlen, neigen wir dazu mit Rückzug, Gegenangriff oder mit konfrontierender Abwertung (z.B. „was verstehen die schon von der Sache“) zu reagieren. All das sind natürliche Schutzmechanismen, um Kränkungen oder Verletzungen zu vermeiden, die uns allerdings davon abhalten, uns auf bestimmte Auseinandersetzungen und Lernerfahrungen einzulassen. Ein sicheres und vertrautes Lernumfeld kann uns dabei unterstützen, dass wir diese Schutzmechanismen nicht oder nur sehr begrenzt aktivieren müssen.
Zu einem sicheren und vertrauten Lernumfeld gehört, neben den äußeren Rahmenbedingungen, vor allem die Schaffung eines guten Arbeitsklimas und einer tragfähigen zwischenmenschlichen Basis. Gleiche Augenhöhe, Wertschätzung, ehrliches Interesse füreinander, die Thematisierung vorhandener Vorerfahrungen und Potenziale, das offene Ansprechen von Befindlichkeiten usw. können eine Teilnehmer-Gruppe dabei unterstützen, Vertrauen aufzubauen, Vorbehalte und Ängste abzubauen und sich im jeweiligen Lernumfeld sicher und wohl zu fühlen. Werden Vorwissen und Vorerfahrungen der TeilnehmerInnen bewusst aufgegriffen und als wertvolle Ressource für die ganze Gruppe genutzt, fühlen sich die TeilnehmerInnen respektiert und gut abgeholt, sind wesentlich stärker motiviert und bereit, sich auf Lern- und Entwicklungsprozesse einzulassen.
Es geht also nicht nur um die professionelle, souveräne und praxisnahe Vermittlung von Inhalten, sondern besonders auch um die Schaffung eines förderlichen Lernsettings und eine achtsame Begleitung der TeilnehmerInnen, so dass ein offenes, stressfreies, lustvolles Lernen möglich wird und somit Lernprozesse in ihrer Wirkung wesentlich effektiver und nachhaltiger Spuren hinterlassen können.