Die Sinnfrage als notwendige Basis der Zukunftsfähigkeit von Organisationen
Beobachtet man unser Wirtschaftssystem, so entsteht oftmals der Eindruck, Gewinnmaximierung und Marktvorherrschaft sind die zentralen Treiber unserer Zeit. Dabei ist diese profitorientierte Sicht der Dinge doch offensichtlich zu kurz gegriffen. Wer entscheidet denn darüber, was für uns Sinn macht? Was uns berührt und daher Energien in uns in Gang setzt? Doch wohl nur wir selbst!
„Wir verlangen, das Leben müsse einen Sinn haben – aber es hat nur ganz genau so viel Sinn, als wir selber ihm zu geben imstande sind“, hat Hermann Hesse bereits festgestellt. Auch Viktor Frankl macht in seinen Ansätzen der Logotherapie und Existenzanalyse klar, dass die vorrangige Motivationskraft des Menschen darin besteht, nach dem Sinn konkreter Fakten und des eigenen Lebens zu fragen. Er ist auch der Ansicht, dass der Mensch gefährdet ist, existenziell zu erkranken, wenn er seinen Willen zum Sinn im Leben nicht integrieren kann.
Nimmt man all diese Zugänge und Gedanken ernst, so ist es wohl ein Gebot der Stunde, die Mitarbeitenden einer Organisation auch wirklich bei ihren Motiven abzuholen und mitzunehmen. Es ist also zukunftsweisend, der Sinnorientierung auch in der Arbeit eine zentrale Rolle zukommen zu lassen. Purpose, häufig definiert als Absicht, Zweck oder Ziel, verstehe ich hier neben der damit angesprochenen Nutzenebene vor allem auch als „Bestimmung“ und damit angereichert um die emotionale, energetische Komponente, die in diesem Begriff enthalten ist.
Ein prägendes Bild für eine Sinngemeinschaft ist etwa ein Orchester. Nehmen wir hier die Tschechische Philharmonie in den Blick, über die ihr Chefdirigent und Musikdirektor Semyon Bychkov sagt, dass diese zu den wenigen Orchestern gehört, denen es gelungen ist, eine einzigartige Identität zu bewahren. Ein wesentlicher Part in der Geschichte dieses Orchesters war und ist der Glaube, dass die Musik das Leben verändern kann. Daraus resultiert nicht nur außergewöhnliche musikalische Qualität, sondern auch ein starkes soziales Engagement in Form von Konzerten für unterschiedlichste soziale Einrichtungen und Organisationen sowie ein intensives Förderprogramm für den musikalischen Nachwuchs, in dem mit über 400 Schulen des Landes zusammengearbeitet wird.
Hier zeigt sich recht deutlich, wie eine klare Sinnausrichtung und Sinnerfüllung in doppelter Bedeutung – als emotionaler Energiespender und auch als klare Zielausrichtung – wirksam wird.
Führen wir uns vor Augen, dass unser Leben in allen Bereichen immer komplexer, dynamischer und vielfältiger wird, so bekommen auf der anderen Seite Stabilität und Orientierung als ausbalancierende Bedürfnisse eine wesentliche Bedeutung.
Hat eine Organisation ein klares Sinnversprechen anzubieten, so dient dieses sowohl Arbeitsuchenden als auch den Mitarbeiter/innen der Organisation als Orientierung. Fühlt man sich vom Purpose des Unternehmens und den damit verbundenen Werten angesprochen, so entsteht das Empfinden einer Sinngemeinschaft, welche sowohl bei der immer schwieriger werdenden Mitarbeitersuche am Arbeitsmarkt als auch für die Mitarbeiterbindung einen wertvollen Beitrag leisten kann.
Speziell der jungen Generation wird zugeschrieben, dass sie im Arbeitsleben zunehmend Sinn und Gestaltungsspielräume sucht. Dabei gibt es Untersuchungen, die belegen, dass die Sinnorientierung mit dem Alter sogar noch zunimmt.
Zweifelsfrei stellt Sinnorientierung bei der Rekrutierung von Mitarbeiter/innen einen wesentlichen Bonus am Arbeitsmarkt dar. Die Chance, dass der Cultural-Fit hier gelingt, ist damit deutlich erhöht.
Auch die Mitarbeiterbindung – für viele ein wesentlicher Erfolgsfaktor – wird deutlich gestärkt, wenn ein/e Mitarbeiter/in sich mit der ganz persönlichen Antwort auf die eigene Sinnfrage „Wofür möchte ich einen Beitrag leisten?“ im Unternehmenssinn klar wiederfindet.
Das „Company Why“ sollte also mit dem „Individual Why“ eine Überschneidungsmenge bilden und sich in einem „Shared Why“ ausdrücken. Demnach ist es Unternehmen anzuraten, die Sinnfrage, welche sich im Unternehmenszweck und im Leistungsversprechen „Wofür wir gemeinsam sorgen wollen“ ausdrückt, in einem umfassenden Kommunikationsprozess zu bearbeiten.
Die Frage nach dem Why bildet nicht nur auf strategischer Ebene die Basis für die weitere Erarbeitung der zentralen Unternehmenswerte, von Visionen, Zielen, Führung und Management, sondern sollte auch im beruflichen Alltag immer wieder Beachtung finden.
Simon Sinek weist darauf hin, dass das Erfolgsgeheimnis wirklich inspirierender Menschen und Organisationen darin liegt, zuerst nach dem Warum zu fragen.
Sinek macht in seinem „Golden Circle“ deutlich, dass wir uns im beruflichen Alltag zumeist damit beschäftigen, was wir tun oder tun sollten. Eher selten beschäftigen wir uns mit dem Sinn und Zweck dahinter, und noch seltener wird dieser auch – bestenfalls gleich am Anfang – kommuniziert.
Wollen wir erreichen, dass die Mitarbeiter/innen sich im Unternehmen mit hoher Identifikation und Motivation engagieren, so sollten wir mit dem Why starten, da wir mit der Frage nach dem Wozu stärker die emotionale Ebene berühren, welche oftmals viel entscheidungsrelevanter ist als unser rationales Denken.
Sineks Appell „Start with Why“ hat schon bei so mancher Führungskraft die Erkenntnis ausgelöst, ein Blick auf das Warum hätte so manche gewünschte Aktivität einfacher gemacht. Akzeptanz wird durch Sinnerfassung bedeutend verstärkt und ist ein zentraler Erfolgsfaktor, vor allem, wenn es um Veränderungsprozesse geht.
Machen wir uns bewusst, dass das einzig Beständige der Wandel ist, so ist eine klare Auseinandersetzung mit dem Sinn und Zweck auf allen Ebenen im Unternehmen zweifellos zukunftsweisend.