Barbara Jany geht dem Resilienzbegriff auf die Spur und fragt sich, was dieser für ganze Unternehmen und einzelne Menschen bedeutet.
In den vielen Begriffen, die langfristig erfolgreiche Unternehmen beschreiben, findet sich immer öfter auch die resiliente Organisation. Was ist damit gemeint? Wie kann sie gelebt werden?
Wie so oft hat auch der Resilienzbegriff schon eine längere Reise hinter sich: Ursprünglich beschreibt er die physikalische Fähigkeit eines Körpers nach Veränderung der Form wieder in seine Ursprungsform zurückzuspringen. So ist ein Schwamm als Stoff deutlich resilienter als Lehm, der in seiner neuen Form bleibt, wenn er zusammengedrückt wird. Über die Technik hinaus hat der Begriff in den vergangenen Jahren Bekanntheit erlangt, indem die individuelle Resilienz von Menschen in den Fokus geraten ist. Dazu aber später. Erst einmal zu der Frage, ob auch Organisationen resilient sein können und was das bedeuten kann. Und klar können sie es! Es gibt sogar bereits einen Standard dafür.¹ Anders als bei resilienten Materialien kehrt eine resiliente Organisation kaum wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurück, wenn äußere Umstände auf sie einwirken. Aber sie kann weiter bestehen, vielleicht sogar besser als zuvor.
Nicht noch mehr Regeln
Wie kann das gelingen? Mit dieser Frage befasst sich die Organisationsforscherin Annette Gebauer insbesondere in Zusammenhang mit Hochrisiko-Organisationen, wie Flugzeugträgern oder Chemiewerken, aber auch mit Krankenhäusern während der Corona-Pandemie.
Gebauer macht in vielen Organisationen eine Glasdecke aus. Unterhalb dieser Glasdecke versuchen Menschen in Organisationen, das „Erwartbare zu kontrollieren“. Sie reagieren gleichgültig, solange es keiner mitbekommt. Werden hochaktiv und kommen ins Laufen nach schwerwiegenden Ereignissen, löschen das Feuer, um dann möglichst bald wieder in ihren Alltag zurückzukehren. Und sie kontrollieren mit Regeln und Systemen. Stellen sie fest, dass diese nicht ausreichen, kommen immer mehr und mehr Regeln dazu. Die Glasdecke kann damit nicht durchbrochen werden, es wird nur immer enger und enger darunter.
Nun ist es aber gerade das Unerwartbare, mit dem wir in Unternehmen immer wieder konfrontiert sind. Wie aber will ich etwas regeln, das ich gar nicht absehen kann? Also ist Proaktivität gefragt. Das heißt: Im Normalbetrieb nach Abweichungen, Unklarheiten und Impulsen suchen und gemeinsam Lösungen finden. Und damit im Alltag trainieren, was in der Krise unabdingbar wird: aktiv werden und schnell auf Probleme reagieren.
In diesem Sinne resilient zu sein, bedeutet für Unternehmen entsprechende Zugänge und Haltungen zu entwickeln und in der Unternehmenskultur zu verankern. Aber auch, unterstützende Strukturen und Prozesse zu entwickeln.
Möglichkeitsräume nutzen
Und damit sind wir nun endlich bei den Menschen angelangt, denn wer sonst soll das alles gestalten? Letztendlich geht das nur gemeinsam, verantwortlich dafür sind aber insbesondere jene Menschen, die Führungsrollen innehaben. Resiliente Organisationen brauchen resiliente Menschen.
Je nach Quelle und Zugang werden der Resilienz einige Faktoren zugeordnet. Einer ist aber immer we- sentlich und kann auch als Grundlage für viele weitere Faktoren gesehen werden: die Selbstwirksamkeit. Ein Begriff, mit dem der Psychologe Albert Bandura die Überzeugung des Menschen beschreibt, auch schwierige Situationen aus eigener Kraft erfolgreich zu bewältigen. Es geht also um innere Gestaltungskraft und Entscheidungsfähigkeit.
So nutzen selbstwirksame Menschen Möglichkeitsräume, anstatt in die Opferhaltung zu gehen. Sie sind verantwortungsbereit und auch fähig, diese zu übernehmen. Sie haben hohes Durchhaltevermögen, insbesondere in unsicheren und komplexen Situationen.
Allerdings ist uns Selbstwirksamkeit nicht unbedingt in die Wiege gelegt. Sie entwickelt sich im Laufe des Lebens – abhängig von unseren Erfahrungen und den uns prägenden Menschen. Je öfter wir erleben, dass wir mit unserem Tun, unserem eigenständigen Handeln etwas bewirken, desto stärker wird sie.
Bilder mit Zugkraft
Nachdem unser Gehirn aber darum bemüht ist, Kalorien und damit unnötige Energie zu sparen, braucht es Antreiber, die uns ins Handeln kommen lassen. Oft ist es der Leidensdruck – eine unmögliche Situation, die wir verändern wollen. Um nicht im Vermeiden hängen zu bleiben, brauchen wir die Leidenschaft, die weiter trägt und uns selbst gesetzte oder gut mitgetragene Ziele erreichen lässt. Weshalb wir selbst in Situationen mit großem Leidensdruck das positive, zugkräftige Bild entwickeln sollten, nachdem zu streben wir motiviert sind. Dies hilft uns, die nötige Energie und Ausdauer aufzubringen, um auftauchende Schwierigkeiten zu meistern. Selbstwirksamer fühlen wir uns auch, wenn wir unsere Neigungen und Talente leben können – dazu sollten wir uns derer aber auch bewusst sein und sie gezielt fördern. Denn Handeln braucht Kompetenzen und Fertigkeiten. Das Gute: Diese sind erlernbar, zumindest bis zu einem gewissen Grad.
¹ Der Standard BS65000(2014) der British Standards Institution (BSI) bezeichnet die Fähigkeit eines Unternehmens, auch in einem komplexen und dynamischen Umfeld den Wandel vorauszusehen, zu überleben und zu wachsen.