Franz Auinger und Wilfried Vyslozil unterhalten sich über Stolpersteine der Verantwortung, wie wir uns dieser bewusst werden und sie überwinden.
Wilfried Vyslozil blickt auf 30 Jahre im Top-Management eines weltweit agierenden Unternehmens zurück. Franz Auinger ist seit 1994 selbstständiger Organisations- und Personalentwickler. Beide kennen sich vom Organisationsinstitut der Linzer JKU und haben auch dort ihre inhaltlichen Wurzeln.
Ein Gespräch.
FRANZ
Die Frage, was es letztlich ausmacht, wirklich Verantwortung zu tragen, beschäftigt in der Führungspraxis ja schon lange. Ich kann mich gut erinnern, wie revolutionär in meiner Studienzeit die Theorien und Ansätze der Selbstverantwortung und Selbststeuerung am Institut für Organisationsforschung waren. Vor allem auch, was Zuständige zu (wirklich) Verantwortlichen macht? In Zeiten zunehmender Instabilitäten und erforderlicher Agilität von Unternehmen wird es noch ein kräftiges Stück herausfordernder.
WILFRIED
Wir beide gehen scheinbar von folgender Formel aus: Die Verantwortung ist eine Funktion aus Zuständigkeit plus Accountability, also persönliche Bereitschaft zur Rechenschaftspflicht. So verstanden setzt erfolgreich und wirksam wahrgenommene Verantwortung ein solides Maß an Selbstreflexion und Kohärenzfähigkeit voraus.
Zuständig bin ich, wenn mir Rechte und Pflichten übertragen werden (passiv) oder wenn ich die nötigen Rechte und Pflichten beanspruche (aktiv). Alles richtet sich dann aus an Ressourcen, Resultaten und den damit verbundenen Risiken. Hier zeichnet sich der fließende Übergang zur Verantwortung ab: Wie weit bin ich es persönlich, der dann für Ressourcen, Resultate und Risiken bürgt? Der zum Erfolg geführt hat oder der auch für die unvermeidlichen Fehlentscheidungen einsteht?
FRANZ
Ich würde sogar noch ein Stück über das Formale hinaus gehen. Accountability ist für mich vor allem auch eine ethisch-soziale Rechenschaftsbereitschaft. Damit stelle ich als Verantwortungsträger:in persönliche Anliegen, Bedürfnisse und Vorteile für die Sache in den Hintergrund. Wie gelingt aber eine ausgewogene, an den Resultaten orientierte persönliche Verantwortung? Insbesondere auch bei einem zunehmenden Verlust an Orientierung gebender Haltungen und Gebräuchen, den damit einhergehenden persönlichen Verunsicherungen, der zunehmenden Aggressivität in allen sozialen Räumen.
„Verantwortung kann rasch als Last erlebt werden. Entscheidungen verzögern sich dann deutlich.“ – Wilfried Vyslozil
WILFRIED
Gleichzeitig leiden wir unter wachsendem Regulierungs- und Formalisierungsdruck. Die einen dokumentieren sich zu Tode, die anderen setzen sich über Normen und Standards locker hinweg. Was bedeutet das für unsere Führungs- und Zusammenarbeit in Unternehmen?
Werden wir über den gesamten Bildungsweg und unsere beruflichen Sozialisierungen hinweg nicht zu Risikomeider:innen erzogen? Verantwortung kann rasch als Last erlebt werden. Entscheidungen verzögern sich dann deutlich.
Andererseits tun sich diejenigen, die Entscheidungen oft seit vielen Jahren tragen und gebündelt haben, schwer, sie abzugeben. Sie haben die Stürme abgewettert, sie können auf Erfolge verweisen, darauf begründet sich ihre Autorität.
FRANZ
Eine von Formalismen und Regulierungen losgelöste, persönlich gelebte Verantwortung beschreibt der Volksmund wohl unter Zivilcourage: „Ich entscheide nach bestem Wissen und Gewissen, unter Abwägung aller zugänglichen relevanten Informationen und meiner Fähigkeiten, unter Einbindung der von der Entscheidung Betroffenen. Ich entscheide mich für das, was in dieser Situation aus einer reflektierten Sicht das Richtige ist und bin bereit, dafür auch Rede und Antwort zu stehen.“
WILFRIED
Diese Verantwortung im Sinne der Accountability muss auch losgelöst von formalen Rollen stattfinden, über diese Rollen hinausgehen und ist eine der wesentlichsten Antworten auf die Losigkeiten unserer Zeit. Die Verpflichtung, sich in die Verbindlichkeit zu begeben, und die Bereitschaft, dafür Rechenschaft abzulegen, sind nicht zuletzt ein zutiefst persönliches Empfinden, eine persönliche Haltung. Sie erfordert exponierte Entscheidungen und Handlungen. Die Bereitschaft, dafür den Kopf hinzuhalten, angreifbar zu sein. Im Extremfall kann sie die D&O Versicherung belasten und vor Gericht führen. Aber: Gelebte Verantwortung gibt Halt und Orientierung für einen selbst und das relevante Umfeld.
Eigenverantwortung ist die Antwort auf erstarrende Strukturen, auf die Hebung der Agilität mit oder ohne Unterstützung durch künstliche Intelligenz. Allerdings setzt Eigenverantwortung voraus, dass ich mich über meine eigenen Umstände erhebe.
„Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast“, sagt der Fuchs zum kleinen Prinzen bei Saint-Exupery.
FRANZ
In der reinen Zuständigkeit (Responsibility) bin ich in erster Linie Aufgaben-orientiert, in der Durchführungsverantwortung. Ich setze die Initiative fürs Tun oder mache es selbst. Fühle mich für meinen unmittelbaren Part, für meine Rolle verantwortlich. Vielleicht zahle ich auch in die Gesamtverantwortung als Teil ein. Das Gesamte ist aber nicht unmittelbar meines.
Ich kann also viel schneller zuständig als verantwortlich sein. Ich kann auch dort stehen bleiben. In die Verantwortung gilt es hineinzuwachsen. Verantwortungsgefühl ist etwas, das nicht verordnet werden kann, das muss reifen. Verantwortung ist eine persönliche Leistung des/der Einzelnen und bedarf einer Legitimierung: Sie muss übergeben und vom relevanten Umfeld getragen werden.
Oft entstehen mit der Annahme von Zuständigkeit bereits unausgesprochene Verantwortungsansprüche und -erwartungen, die eigentlich noch gar nicht erfüllt werden und die/den Träger:in überfordern können. Aber sie können auch die/den Übergebende:n verleiten, zu rasch loszulassen oder zu wenig bzw. gar nicht loszulassen, zu wenig zu fördern und zu fordern.
„Eigenverantwortung ist die Antwort auf erstarrende Strukturen, auf die Hebung der Agilität mit oder ohne Unterstützung durch künstliche Intelligenz“ – Wilfried Vyslozil
WILFRIED
Wer übernimmt, muss das alles auch wollen und zulassen: Das spürt sich nach ganz viel Kommunikation und Beziehungsarbeit an.
Dabei ist es wichtig, dass alle Mitarbeitenden auf allen Ebenen erkennen und verstehen, wie sie den Erfolg beeinflussen können. Das erfordert ausdrücklich Selbstreflexion, also die solide Einschätzung der eigenen Kompetenzen.
Hierarchische Prestige-Umwege haben immer weniger Platz bzw. werden zunehmend kontraproduktiv. Oft ist es gar nicht möglich, aus übergeordneten Hierarchie-Ebenen die Bedarfe zu erkennen und die richtigen Entscheidungen rasch zu treffen.
Deshalb rücken Mitarbeitende aus der operativen Ebene immer stärker in Zuständigkeiten – und damit in potenzielle Verantwortungen, die einen hohen fachlichen und persönlichen Reifegrad erfordern.
Wir müssen unsere Steuerungs- und Managementsysteme umbauen, wenn sie zukunftsfähig und wirksam bleiben sollen. Und damit sind wir mitten drinnen, in dieser zentralen Frage: wollen wir und können wir Verantwortung als Eigenverantwortung entwickeln und sicherstellen?
Die Diskussion rund um Agilität in Unternehmen zeigt auf, worum es heute besonders geht: nicht um den heißen Brei herumreden, sondern hoch transparent Zuständigkeit, Verantwortung, Accountability verteilen und einfordern. Dies setzt akzentuierte interne Kommunikation voraus.
In memoriam
PROF. GERHARD REBER, Gründungsprofessor des Institutes für Organisationsforschung der Johannes Kepler Universität Linz, verstorben am 7. Dezember 2023
Gerhars Reber stellte die simple Frage: „Wie rational verhält sich ein Mensch im Betrieb?“ Er widersprach ein Leben lang den Bildern vom Maximieren, Optimieren, Programmieren. Reber war ein hochkarätiger Theoretiker des Pragmatischen. Was motiviert Menschen wirklich? Worauf fußt Macht eigentlich? Wie brauchbar sind die Strukturen? Was behindert Innovation? Gerhard Reber war Pionier der JKU Internationalisierung und er legte die Schienen für die LIMAK. Ein Forscher von großer Reputation, ein Lehrer, ein Berater, ein großer Gebender.
Gelebte Accountability: Prämissen fürs Gelingen
- Wer Entscheidungen trifft, ist dafür nicht nur zuständig sondern umfassend und persönlich verantwortlich.
- Zutrauen und geschenktes Vertrauen ist die Basis für Verantwortungsübergabe und -übernahme.
- Eine positive Fehlerkultur leben – denn Fehler und Scheitern sind Teil des Voran-Gehens.
- Verantwortung abzugeben und zu übernehmen ist ein mehrseitiger und wesentlicher Lernprozess: für die Übergebenden, die Übernehmenden und die Betroffenen/Beteiligten – wesentlich bedeutet, dass sich etwas Grundlegendes ändert, transformiert.
- Accountable kann immer nur eine Person sein; für Aktivitäten zuständig können mehrere sein.
- Die Kunst ist, sich vom hierarchischen, formalen Funktionsdenken zu lösen und sich dem gelebten und verantwortlichen Rollenbewusstsein zuzuwenden. Das fängt schon damit an, dass ein Rückdelegieren nach oben durchschaut und abgewehrt wird.
- Dabei sind auch Geschäftsführungen und Vorstände, Aufsichtsräte gefordert, im Sinne der gleichen Augenhöhe, der Eigenverantwortungsräume und Accountability ihr Rollenverständnis und -verhalten mitzudenken und zu prägen.