Barbara Jany fasst die zentralen Erkenntnisse von Yves Michaelis zusammen, die für Unternehmensführung inspirierend und relevant sein können.
Das deutsche Unternehmen Born Gesundheitsnetzwerk hat den Weg zu mehr Selbstverantwortung aller Mitarbeitenden eingeschlagen. Geschäftsführer Yves Michaelis1 hat seine Erfahrungen mit uns im Rahmen einer Veranstaltung geteilt.
Wächst ein Unternehmen, steigen die Anforderungen. Aufgabenbereiche werden immer spezialisierter, Regelwerke umfangreicher. Der ursprüngliche Unternehmenszweck gerät aus dem Fokus, Frust und Erschöpfung machen sich breit. Auch Yves Michaelis, Geschäftsführer des Born Gesundheitsnetzwerkes, kennt diesen Zustand. Just als er erkannte, dass der aktuelle Zustand weder für Kund:innen noch Mitarbeiter:innen gut ist, ist er auf Lalouxs Buch „Reinventing Organizations“ gestoßen – und hat beschlossen, dass es Zeit für Veränderung wird, hin zu mehr Selbstverantwortung.
Alles loslassen ist nicht die Lösung
Schnell wurde klar, dass es dazu erst einmal ein gemeinsames Bild in der Unternehmensführung braucht. Wenn sich diese drei Menschen schon nicht auf ein einheitliches Ziel einigen und es klar vermitteln können, wie soll es dann im Unternehmen gelebt werden? „Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken“, so Michaelis, das hat sich wieder einmal gezeigt. Die Rückbesinnung auf den Purpose, die intensive Auseinandersetzung mit dem „Wozu“ des Unternehmens war dafür essenziell. Erst als hier unternehmensweit Klarheit herrschte, ging es an die Umsetzung.
Und dann? Passierte erst mal wenig. Die Mitarbeiter:innen gingen nicht freudvoll in die Selbstverantwortung. Und es zeigte sich schnell: Wenn die Unternehmensführung alles loslässt, tun es die meisten anderen auch. Also wurde rückgebaut, indem wesentliche Entscheidungen wieder in der Unternehmensleitung getroffen werden. Und plötzlich kam das System in Bewegung. Menschen fingen an, im neuen Rahmen selbstverantwortlich zu arbeiten.
Heute, nach vielen herausfordernden Aufs und Abs steht das Unternehmen vor einem neuerlichen großen Schritt. Yves Michaelis plant, es im Management-Buy-out zu übernehmen und ins Verantwortungseigentum zu überführen. „Das Unternehmen soll sich selbst gehören“ und der Fokus auf dem Unternehmenzweck liegen.
Nachfolgend finden Sie einige von Michaelis wertvollen Insights, die von der Autorin für diesen Artikel leicht gekürzt und strukturiert wurden.
Erschöpfung ist das Ergebnis von Führungsversagen.
- Zu schnelle Transformations-Entscheidungen aus der Governance-Perspektive überfordern auf der Umsetzungsebene.
- Alles, was in der Führung unklar ist, zeigt sich auch an Unklarheit in der Mannschaft. Und dann ist Stillhalten der Mitwirkenden eigentlich schlau und gesund.
- Die Abschaffung von Führungskräften erfordert weiterhin ein Führen. Darauf kann nicht verzichtet werden.
- Der Ruf nach Konsequenzen ist ein Weckruf in Richtung Führungsverantwortung.
Stärkung erfordert Reflexion und Weiterentwicklung der Entscheider:innen.
- Die Transformation der Organisation gelingt nur in dem Maße, in dem die Entscheider:innen sich selbst ihren persönlichen Veränderungserfordernissen stellen.
- Ich trage mein Inneres (immer) vor mir her – Selbstführung ist die Lösung.
- Je klarer ich (mir) war und mich auch als Person zeigte, desto deutlicher zeigen sich auch die Mitarbeitenden.
- Die entscheidende Frage: Vertraust du den Leuten so, dass du dich auch mit deinen Gefühlen zeigst?! Vertraue ich also überhaupt mir selber?
Mitarbeiterbindung bedeutet, sie loszulassen. Sie dürfen freiwillig da sein.
- Einladungen aussprechen hat eine andere, nachhaltigere Qualität als einzufordern, einer Ideologie zu folgen.
- Es braucht Räume intensiver Auseinandersetzung mit Purpose, Werten und Zukunftsbild, Räume der Begegnung und der Reflexion notwendiger Lernschleifen.
- Groß denken und im Kleinen handeln – nicht auf alle warten; machen ist wichtig.
- Nicht-kommunizieren dürfen/können ist der Nährboden für Fantasien und Gerüchte.
Selbstverantwortung braucht Führung, Regeln und Konsequenz.
- Im Zwischenraum zwischen den Rollen verfestigt sich Ungelöstes und Unentschiedenes.
- Was nicht passt, kann nicht immer passend gemacht werden.
- Bedürfnisse zu sehen heißt nicht, sie zwingend befriedigen zu müssen. Auch Einfordern von Leistung ist ein Gesehenwerden.
- Anhaltender Widerstand Einzelner ist nicht Vielfalt; Trennung ist eine legitime Option.
- Partizipation ist nicht zwingend der Weg, um die Mitarbeitenden für ein Ziel zu gewinnen. „Partizipationstheater“ ersetzt nicht Führung.
Die Dezentralisierung von Entscheidungshoheit und Ergebnisverantwortung entlastet den Overhead und erzeugt eine neue Qualität von Wirksamkeit.
1 Yves Michaelis ist gelernter Intensiv-Mediziner und seit 13 Jahren Teil der Unternehmensführung des Born Gesundheitsnetzwerkes. Dieses bietet mit rund 400 Mitarbeiter:innen Intensivpflege an mehreren Standorten in Deutschland.