Es ist ein zentrales Anliegen der Quergänge, die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen zu fokussieren und diese zu stärken. Dafür erachten wir die gründliche Auseinandersetzung mit den Widersprüchen und Spannungsfeldern in unseren Arbeits- und Lebenswelten als unbedingt notwendig.
Als Spannungsfeld verstehen wir hier einen Bereich mit unterschiedlichen, gegensätzlichen Kräften, die aufeinander einwirken, sich gegenseitig beeinflussen und auf diese Weise einen Zustand hervorrufen, der wie mit Spannung geladen zu sein scheint.
Welche konkreten und für die Auseinandersetzung mit der VUKA-Welt typischen Spannungsfelder haben uns im Quergänge-Prozess vorrangig beschäftigt, und welche zentralen Fragen haben wir daraus abgeleitet?
Anforderungen agiler Organisationen <-> menschliche Grundbedürfnisse
Agile, digitalisierte Organisationen bieten eine nie da gewesene Vielfalt von Möglichkeiten für die Individualisierung ihrer Mitwirkenden. Das betrifft die persönliche Anwesenheit im Unternehmen, die eigene Arbeitsweise, die Erreichung persönlicher Ziele und die Selbstverwirklichung im Job. Wir Menschen haben als soziale Wesen jedoch auch grundlegende Bedürfnisse nach Verbundenheit, Stabilität, Sicherheit und realem Miteinander.
Wie können in der agilen, digitalisierten Organisation die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen nach Stabilität, Verbundenheit und Realität – als Gegenteil zur Virtualität – erfüllt werden?
Hohes Tempo <-> Gesundheit und individuelles Wohlbefinden
Die zunehmende Dynamik und Zahlenorientierung der Unternehmen erhöhen den Effizienzdruck in der Leistungserbringung. Die erforderlichen Arbeits- und Reaktionsgeschwindigkeiten werden beschleunigt, Einstellung auf das Neue findet wenig Zeit und Raum.
Dazu kommt, dass die Vereinbarkeit der eigenen Gesundheit mit den organisationalen Gegebenheiten nach wie vor weitgehend jedem Menschen selbst überlassen ist. Maßnahmen im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung zeigen oft wenig spürbare Wirkung.
Wie beweglich müssen Rahmenbedingungen gestaltet sein, um qualitativ hochwertige und fristgerechte Arbeitsergebnisse sicherstellen zu können? Welches Tempo ist zuträglich, und wie kann in Phasen maximaler Auslastung die Aufgabenerledigung gegebenenfalls auf mehrere Wertschöpfende verteilt werden? Und wie kann ein betriebliches Angebot für Mitarbeiter/ innen-Gesundheit und individuelles Wohlbefinden für alle Altersgruppen geformt sein?
Wie kann also ein Unternehmen gestaltet sein, um hinsichtlich Qualitätsanspruch, Arbeitstempo und betriebliche Gesundheitsförderung genügend individuell nutzbare Spielräume für Mitarbeiter/innen aller Altersgruppen zu bieten?
Erhöhte Selbstverantwortung <-> geringerer Gestaltungspielraum
Gestaltungsspielräume werden durch Digitalisierung/Automatisierung und durch das große Sicherheitsbedürfnis der Unternehmen immer geringer. Gleichzeitig steigt die Notwendigkeit, dass Mitarbeiter/innen und Teams laufend mehr Selbstverantwortung übernehmen.
Wie kann die notwendige Selbstverantwortung mit der Digitalisierung bzw. Automatisierung in Einklang gebracht werden?
Führungskräfte fragen sich zusätzlich: Wie halte ich die Mitarbeiter/innen trotzdem in einer guten Motivation? Das Auftun von Räumen für Kreativität und deren möglichst lose gesteuerte Nutzbarmachung ist ein Ansatz dafür, die Bereitschaft zu mehr Selbstverantwortung zu steigern. Woraus sich die weiterführende Frage ergibt: Wie können diese Räume gestaltet sein?
Agilitätsfördernde Haltung <-> tradierte Haltung
Das Aufeinandertreffen dieser gegensätzlichen Haltungen ergibt ein Spannungsfeld, das ebenfalls großes Potenzial für die organisationale Entwicklung birgt. Beide Haltungen haben nicht nur ihre Daseinsberechtigung, sondern können, sofern sie sinnvoll miteinander verbunden sind, integriert werden. Wie können eine eher solidarisch, konsensorientierte und damit Agilität fördernde Haltung und eine eher strikte, hierarchieorientierte, also die tradierte Haltung in einer Organisation koexistieren und gemeinsam weiterentwickelt werden?
Resümee
Bis dato gibt es noch (?) keine umfassenden Antworten auf diese zentralen Fragen. Wir geben uns auch nicht dem Glauben hin, Standardrezepte entwickeln und anbieten zu können. Der Bedarf und der stark ausgeprägte Wunsch danach, Zeit und Raum für kritische Reflexion und konstruktiven Austausch zu gewinnen, treiben uns jedoch auch weiterhin zur intensiven Auseinandersetzung damit an. Ein Erfahrungsaustausch weit über Unternehmensgrenzen hinaus kann dazu beitragen, das Potenzial der benannten Spannungsfelder nutzbar zu machen und in genau jene Spannungsstärke umzuwandeln, die den größtmöglichen Nutzen stiftet.
Wir sind überzeugt, dass den Spannungsfeldern nur auf der Haltungsebene zu begegnen ist. Demnach sind wir alle aufgefordert, sehr achtsam wahrzunehmen, was diese Spannungsfelder mit uns tun. Dies wiederum braucht unbedingt eine konsequente und permanente Reflexion auf persönlicher und organisationaler Ebene.
Für die Unternehmenswelt mit all ihren Verantwortlichen, Entscheidungsträgern und internen Expert/innen ist uns ganz besonders wichtig: Reden Sie über diese und andere Spannungsfelder miteinander, mit den Mitarbeiter/ innen in Ihrem Unternehmen, mit Ihren Vorgesetzten, Ihren Kolleg/innen und mit Partner/innen in Ihren Netzwerken. Bleiben Sie im ständigen Austausch, halten Sie die Auseinandersetzung in Bewegung.