Der ri-start-Prozess in der Richter Pharma AG
Agilität ist das neue Zauberwort zur Sicherstellung der Überlebens- und Zukunftsfähigkeit von Unternehmen. So gesehen war die Richter Pharma AG schon immer ein sehr agiles Unternehmen. Das kontinuierliche Wachstum in Umsatz und Ergebnissen ist ein Beleg dafür, dass es das Management verstand, sich rasch an die Markterfordernisse anzupassen. Umso überraschender mag es erscheinen, dass sich der CEO, Mag. Roland Huemer, vor knapp drei Jahren entschloss, einen „ri-start-Prozess“ rund um das Thema „Performance“ zu starten. Im Gespräch mit Dr. Georg Sutter erläutert er seine Beweggründe.
Was veranlasst den CEO eines erfolgreichen Familienunternehmens, trotz gut laufender Geschäfte, den Leistungsgedanken quasi zum Kern seiner Bemühungen um die Weiterentwicklung des Unternehmens zu erheben?
Ja, die Richter Pharma AG ist erfolgreich und war es auch in den meisten Phasen der Unternehmensgeschichte. Allerdings ist der Druck auf die Margen in den letzten fünf Jahren stark gewachsen. Die Gefahr ist, bei einer schleichenden Entwicklung den richtigen Zeitpunkt der Veränderung zu verpassen. Um dem zu entgehen, war es mir wichtig, dass sich die Mitarbeiter/innen rechtzeitig darauf einstellen und sich die Organisation mit ihrer Kultur entsprechend entwickeln kann. Das war für mich Grund genug, das ri-start-Projekt zu starten.
Dass daraus dann ein längerfristig angelegter ri-start-Prozess wurde, hatte wahrscheinlich einen besonderen Grund?
Die Sinnhaftigkeit der Investition in einen längeren Prozess ist sehr schnell deutlich geworden. Die Arbeit am Performance- und Strategieprozess als wesentliche Bausteine des Veränderungsweges macht nur bei einer ganzheitlichen Unternehmensbetrachtung Sinn. Wir haben unsere Mission, unsere Vision neu entwickelt und die Kernwerte ausdiskutiert, die uns einerseits in der Vergangenheit ausgezeichnet haben, die uns aber auch in die Zukunft tragen sollen. Und dies alles verbunden mit dem hundertjährigen Bestehen des Unternehmens, was ein willkommener Anlass war, aus einer erfolgreichen Vergangenheit heraus die Kraft und Stellhebel für die Zukunft zu definieren.
Es ging Ihnen mit ri-start also auch darum, die künftige Identität im Spannungsfeld zwischen Bewahren und Verändern zu entwickeln, und zwar auf eine Art und Weise, dass die Mitarbeiter/innen selbst zu ri-starter werden. Welche Grundideen zur Entwicklung der Organisation haben Sie dabei an- getrieben?
Als Fußballer sehe ich den Wert des Mannschaftssports; der Teamgedanke ist in mir fest verankert, ich halte nichts von Einzelkämpfern und ich bin heute mehr denn je überzeugt davon, dass eine Organisation nur dann zukunfts- fähig ist, wenn sie geschlossen in die gleiche Richtung agiert. Das erhöht in turbulenten Zeiten mit einem nie dagewesenen Komplexitätsgrad die Schlagkraft und ist letztlich ein nicht so leicht zu imitierender Wettbewerbsvorteil.
Veränderung als permanenter Auseinandersetzungsprozess
Das Gesamtkonzept war von Anfang an so angelegt, dass ein größerer Kreis von Führungskräften, im Sinne eines Feedbackschleifenmodells, in den ri-start-Prozess eingebunden wurde und die Mitarbeiter/innen im regelmäßigen „Richter up (to) date“ auf dem Laufenden gehalten wurden. Was waren für Sie bis heute wichtige Meilensteine?
Die Diskussion darüber, wer wir eigentlich sind und wohin wir wollen, um dann die Vision zu schreiben, war vom Prozess her mindestens so wichtig wie das Ergebnis. Uns ist im Managementteam z.B. nochmals bewusst geworden, welchen ethischen Auftrag wir haben, d.h. dass wir es mit Produkten zu tun haben, die Menschenleben retten oder Leiden lindern bzw. heilen. So schaffen wir dann auch das Alignement mit allen Führungskräften und auch mit den Mitarbeiter/innen.
Des Weiteren haben wir uns intensiv mit Fragen wie
„Was heißt bei uns Führen?“, „Wie halten wir es mit Konflikten?“ oder „Wie gebe ich Feedback?“ beschäftigt.
Wir investieren also sehr viel in die Mannschaft, und zwar deshalb, weil sich nur so eine Kultur der wertschätzenden Klarheit entwickeln kann.
Neben der Etablierung eines Sounding Boards und des
ri-start-Coachingteams war schon sehr bald klar, dass das Vorhaben durch die parallele Weiterentwicklung der klassischen HR-Instrumente unterstützt werden musste. Deswegen wurde der Richter Pharma Performance-Dialog eingeführt. Wie erleben aus Ihrer Sicht die Mitarbeiter/ innen diese Maßnahmen?
Die erste Reaktion war: „Meint er das alles wirklich ernst?“. „Geht das nur ein halbes Jahr und ist der Zauber dann wieder vorbei?“. Und nun geht das Ganze schon recht lange, ri-start wird von vielen aktiv getragen. Natürlich gibt es Menschen, die noch immer skeptisch sind und darauf achten, dass das bisher Bewährte seine Berechtigung behält. Das ist auch ein ernst zu nehmendes Anliegen, mit dem wir aktiv umgehen.
Im Prozessverlauf wuchs auch die Einsicht, das Gehaltskonzept des Unternehmens den neuen Erfordernissen anzupassen.
Das ist ein Beispiel dafür, dass ri-start ein Prozess ist. Vieles entwickelt sich in einem solchen Veränderungsprozess erst beim Gehen. So das Gehaltskonzept, das wir zunächst nicht auf dem Radar hatten. Je intensiver wir die Mitarbeiter/innen in einen Performancedialog geführt haben, umso klarer wurde, dass das Gehaltskonzept der missing link ist. Gute Mitarbeiter/ innen werden wir nur gewinnen und halten können, wenn sie sich im Gehaltssystem wiederfinden. Unser Anspruch ist klar: Wir versprechen mit unserem Gehaltssystem Fairness als oberste Prämisse, dazu Transparenz und Leistungsgerechtigkeit passend zur jeweiligen Performance und Verantwortung des Mitarbeiters.
Die wesentlichen Hürden und Risiken in einem solchen Prozess?
Die eigentliche Hürde ist, mit dem Anliegen auf die Mitarbeiterebene durchzudringen. Das war am Anfang nicht so einfach, als wir uns zunächst mit dem Selbstverständnis des Unternehmens auseinandergesetzt haben. Wichtig ist schon, dass man konkret ist, dass jeder etwas damit anfangen kann, d.h. eben auch betroffen ist.
Ein Risiko wäre auch, dass ein solcher Prozess das Momentum verliert. Andererseits scheint das aber auch ein Teil der Pendelbewegung in Veränderungen zu sein, dass Entschleunigung genauso wichtig ist wie Beschleunigung.
Entscheidend ist zudem die Vorbildfunktion der Führungskräfte. Man gibt sich schon selbst auch einen Auftrag. Dessen muss man sich bewusst sein.
Der Schlüssel: Selbstführung als gelebter Führungsanspruch
Stichwort „Vorbildfunktion“. Die geforderte Selbstverantwortung stößt oft an Grenzen, da sich Rahmenbedingungen wie z.B. Hierarchieverständnis nicht per Knopfdruck verändern lassen. Was ist die größte Herausforderung für Ihre Führungskräfte auf persönlicher Ebene?
Jeder ist aufgefordert, ehrlich in sich selbst hineinzuhorchen, wo er steht und wie er es selbst mit Veränderungen hält. Sie, als unser Berater, haben uns oft gefragt: „Was hat das mit mir zu tun?“ Inzwischen stellen wir uns diese Frage selbst. Es war am Anfang einfach schwierig, die Fassade abzulegen, gerade vor den Kollegen, und sich selbst einzugestehen, ich habe da auch ein Lernfeld heben. Es geht darum, messbare Früchte zu ernten. Vor allem aber gilt es, mit großer Achtsamkeit am Team- und Performancegedanken weiter zu arbeiten. Denn darin liegen die eigentlichen Chancen zur Verbesserung.
Was fordert der Prozess von Ihnen persönlich?
Für mich gilt das gleiche wie für mein Managementteam, mich immer wieder zu fragen, was hat das mit mir zu tun; auch immer wieder anzustoßen, offen und ehrlich weiterzugehen. Der Prozess fordert auch mich in meiner Vorbildwirkung, mich persönlich weiterzuentwickeln, öfter und schneller die Schwelle zu überschreiten und in die Klarheit zu gehen.
Welches sind die nächsten Schritte?
Zunächst müssen wir die Dinge, die wir begonnen haben, verfeinern. Wir führen z.B. in diesem Jahr den Performance-Dialog zum ersten Mal in Gänze durch, wir haben das Gehaltskonzept umzusetzen, wir wollen beim Thema Nahtstelleneffizienz die definierten Einsparungspotenziale heben. Es geht darum, messbare Früchte zu ernten. Vor allem aber gilt es, mit großer Achtsamkeit am Team- und Performancegedanken weiter zu arbeiten. Denn darin liegen die eigentlichen Chancen zur Verbesserung.
Eine letzte Frage: Wenn Sie ein Kollege, der vor einer ähnlichen Situation steht wie Sie vor knapp drei Jahren, um einen Rat fragen würde – was würden Sie ihm empfehlen?
Nimm die ganze Mannschaft zusammen, reißt die Dinge auf, die euch schon lange im Wege stehen, und geht zusammen den Weg hin zu einer offenen, leistungsorientierten Kultur. Und mach dir klar: Das Gelingen von Veränderungen in der Organisation hängt zu einem erheblichen Maß von deiner Bereitschaft ab, als Entscheider persönlich Teil des Veränderungsprozesses zu sein. Ansonsten kannst du von deinen Mitarbeiter/innen nichts erwarten und brauchst auch gar nicht erst anzufangen.
Herzlichen Dank für das Gespräch.