Ein DigiLog
Es fasziniert, wie stark das Zusammenwirken im Top-Management ein ganzes Unternehmen pushen, verändern oder blockieren kann. Während sich in Schönwetterphasen leicht über vieles hinwegsehen lässt, zeigt sich die Qualität der Konstellation, wenn es eng wird.
Lesen Sie dazu eine Kurzfassung unseres digitalen Dialogs zum Thema.
MMag. Eva Maurerbaur, Mag. Klaus Theuretzbacher, Mag. Franz Auinger
Eva Maurerbaur:
Wenn ich mir die Situation von Top-ManagerInnen vor Augen führe, entsteht in mir das Bild von einem mit Wasser gefüllten Gefäß, das unter einem tropfenden Wasserhahn steht. Ich frage mich: Wann wird dieses Gefäß wohl übergehen? Kann die Arbeit als Top-Manager Freude bereiten? Der ständige Druck, schneller, besser, effizienter, innovativer etc. zu sein, birgt die Gefahr, in Überlastung der Top-Manager zu münden. Ich denke, einige spielen mit dem Gedanken auszusteigen, um dem Burnout oder der Scheidung zu entkommen.
Ich spüre den Wunsch, diese Position zu entlasten. Wie kann und muss sie ausgestaltet sein, damit sie mit Freude und einer gewissen Leichtigkeit erfüllt und von den Mitarbeitenden als wertvoll und unterstützend wahrgenommen werden kann?
Klaus Theuretzbacher:
Ein Ansatzpunkt ist die Suche nach erfolgsträchtigen, unterstützenden Konstellationen im Top-Management. Drei kann ich benennen, alle haben was für sich, alle können auch ins Negative kippen.
Eine erste Variante mit einer einzelnen Person als ChefIn – mit Wohlwollen und Verständnis für andere (d.h. auch anders Tickende) und entsprechenden Freiräumen für diese. Also getragen von Wertschätzung, Vertrauen und einer „natürlichen Autorität“. Die Negativ-Ausprägung wäre natürlich der Diktator: nur meins zählt.
Dann die Möglichkeit einer Gruppe von zwei oder mehr ähnlich bis gleich gestrickten Top-ManagerInnen: dieselbe inhaltliche Ausrichtung, ähnliche persönliche Strukturen, Werte, Neigungen, Typen, keine Reibungsverluste untereinander. Quasi die Vervielfachung der ersten Variante, auch im Negativen: Schreckensherrschaft, wir fahren drüber, kein Platz für andere usw.
Die dritte Variante hat wohl die meiste Kraft und das höchste Erfolgspotenzial, jedoch auch die größte Konflikt- und Absturzgefahr: Eine Gruppe von zwei oder mehr Top-ManagerInnen, die sich optimal ergänzen, sich in ihrer Verschiedenartigkeit voll akzeptieren und diese so bestens nutzen können. Aufteilung von Zuständigkeiten, Projekten und Entscheidungen je nach Passung. Problematisch dabei: Gleichmacherei (so tun, als gäbe es keine Unterschiedlichkeit), Abwertungen, Machtspiele. Die Herausforderung lautet also, die Wertschätzung der Verschiedenartigkeit untereinander wie auch zu den MitarbeiterInnen hin zu leben.
Franz Auinger:
Führung ist ein sozialer Prozess der Verantwortungsübernahme, des Gestaltens, Entscheidens und Dranbleibens. Je unberechenbarer und fordernder die Zeiten sind, umso konfliktreicher und dünner ist die Luft „ganz oben“. Nachdem alle Ziel- und Wertekonflikte des Systems im Top-Management ihre Verdichtung erfahren und die Sehnsucht, die Dinge unter Kontrolle zu haben, mit zunehmender Dynamisierung steigt, stellen sich auch besondere Anforderungen an die Unternehmensspitze. Command-and-Control-Tendenzen können zunehmen, und die Unterschiedlichkeit in der Beurteilung von Themen führt rascher zu Konflikten.
Bin ich da alleine in der Geschäftsführung, scheint manches leichter und deckt den Bedarf nach Klarheit und Orientierung – aber ich tue gut daran, mich von der nächsten Ebene beraten zu lassen.
Teilen zwei oder mehr die Executive-Verantwortung, braucht es eine laufende, authentische Verabredung. Zunehmende Komplexität benötigt komplexe Antworten, was mehrköpfige Teams leichter darstellen können. Wenn die Mitglieder des Top-Managements wie ein Spitzenteam agieren, hat das eine besondere Qualität, gerade in Zeiten des Wandels. Vertrauen und Zutrauen, Sympathie und komplementäre, die Kooperation befeuernde Fähigkeiten sind dabei wesentliche Ingredienzen. Ich erlebe in der Praxis beide Modelle als erfolgreich – und auch, dass sie äußerst bedenklich, kritisch sein können.
Klaus Theuretzbacher:
Genau, das Top-Management ist eben nicht nur Steuerungsinstanz, sondern stets auch Resonanzraum und Projektionsfläche. Letztlich geht es um eine Balance aus Annehmen, Aufgreifen und Nutzen von Komplexität einerseits sowie Reduzieren von Komplexität andererseits.
Das Top-Management als Resonanzraum
Franz Auinger:
Vielleicht ist diese Gratwanderung zwischen wachsender Komplexität und Dynamisierung einerseits und der nötigen Resonanz der Menschen im und außerhalb des Unternehmens andererseits eine besondere Verantwortung des Top-Managements: Beziehungen zu gestalten, zu ermöglichen und zu fördern, die übergreifende Kommunikation zu stärken, Menschen zueinander in Schwingung zu bringen (oder besser den Rahmen dafür zu schaffen). Gerade in diesen automatisierenden Zeiten das menschliche, kreativ-gestaltende und kooperierende Momentum zu stärken – durchaus im Sinne einer transformationalen, sinnstiftenden und Potenziale öffnenden Führung.
Und dann stellt sich die Frage, welche Top-Management-Konstellationen dafür begünstigend wirken können. Natürlich schaffen das die entsprechend gestrickten Persönlichkeiten in allen möglichen und unmöglichen Strukturen. Aber gibt es nicht Gestaltungslogiken, die den „Keimling“ für Resonanz bereits in sich tragen, es dann mehr um ein „nicht verhindern“ geht, gute Entwicklungen leichter passieren können?
Vielleicht sollte es in jedem Vorstand einen „Resonanz-Zuständigen“ geben, der darauf achtet, dass die (zwischen)menschliche Erdung in den Prozessen, Abläufen und Systemen voll zur Entfaltung kommen kann. Das könnte ja zum Beispiel von Personal- und OE-Vorständen wahrgenommen werden, oder auch von generalistisch denkenden Kommunikationsressort-Verantwortlichen, Beziehungs- und VernetzungsmanagerInnen.
Eva Maurerbaur:
Die gängige Managementliteratur und -realität bietet wohl recht wenig. Die Diskussionen bringen oft mehr vom Alten in einem neuen Gewand. Braucht es einen Paradigmenwechsel? Ist die Zeit bei dieser noch nie da gewesenen Komplexität und Dynamik reif dafür?
Frederic Laloux[1] referenziert in seinen Darlegungen zur Selbstführung auf Aussagen der Gehirnforschung. Unser menschliches Gehirn besteht aus rund 85 Milliarden Zellen, und keine dieser Zellen erhebt den Anspruch, Vorstand, CEO oder CFO zu sein oder Kontrolle über Innovationen und Entscheidungen zu haben. Dennoch existieren wir als Menschen und entwickeln uns kontinuierlich weiter. Die Komplexität des menschlichen Körpers kann nur in ihrer Selbstorganisiertheit, die wir nie bis ins letzte Detail verstehen werden, funktionieren.
Mich reizen Ansätze zu lernen und zu prüfen, ob mit Hilfe dieser Ideen eine Entlastung des Top-Managements und eine befruchtende Weiterentwicklung des Zusammenspiels von Vorgesetzten und Mitarbeitenden möglich wäre.
Klaus Theuretzbacher:
Von unserem Kollegen Georg Sutter wird es im gleichen INOVATOR einen Artikel über „Selbstverantwortetes Leadership“[2] geben, da nimmt er sich genau dieser Fragen an. Welche Formen von Leadership in Zeiten wie diesen nun wirklich gefragt sind und wie sich das auf die Beziehung zwischen Management und Belegschaft auswirkt!
Steuerungs- und Gestaltungslogiken
Franz Auinger:
Noch mal zurück zur systemischen Frage der Managementkonstellation: Welche Formen des Steuerns auf der strategischen, normativen Ebene sind am besten geeignet, Komplexität und Dynamisierung zu erfassen, mit der Volatilität klar zu kommen und dabei in einer maximal möglichen Achtsamkeit und Wirksamkeit zu sein? Oder anders gefragt: Wie müssen die tertiären Prozesse, die Managementprozesse gestaltet werden (Ablauf) und wie geformt und zusammengefasst (Aufbau), damit das gelingen kann – und zwar personenunabhängig?
Welches Führungsparadigma ist dabei jenes, das die Bewältigung bestmöglich ermöglicht (siehe auch Laloux)? Was sind diese Enablerkräfte, Gestaltungslogiken, die es zu berücksichtigen gilt? Vielleicht folgende …
- Das Top-Management ist vorwiegend Enabler und Supervisior, beschäftigt sich mit der Perspektivenarbeit und dem Makro-Management, schafft die Voraussetzungen, dass ausreichend Rahmenklarheit für die nächsten „Meta-Sprints“ gegeben ist,
- sieht Zeichen möglicher Veränderungen frühzeitig und setzt die erforderlichen Veränderungsmaßnahmen zur rechten Zeit,
- fokussiert auf die Entwicklung der Unternehmenskultur, initiiert Transformationsprozesse, stärkt die nächsten Steuerungsebenen,
- ist in einem ausreichenden Kontakt mit dem gesamten System, spürt auch die Basis, ist sichtbar und begreifbar,
- schafft Vertrauen und Sicherheit, in dem es in den relevanten Bereichen Flagge zeigt und entscheidet,
- ist in der Lage, grundsätzliche Fouls zu erkennen und zu ahnden, erkennt und anerkennt Extra-Meilen,
- ist so aufgestellt, dass die Prinzipien einer sinn-orientierten, zukunftsstärkenden und individualisierten Führung greifen können,
- ist ein Leuchtturm für die gewollte Unternehmenskultur – diese normativen Ansprüche spiegeln sich in der Form und im Handeln des Top-Managements.
[1] Laloux, F. (2015). Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. Vahlen-Verlag.
[2] Siehe INOVATOR Nr. 33, S. 5.