Ein Digi-Log
Wer kennt das nicht? Es gäbe so viel Spannendes zum Austauschen und gemeinsam Reflektieren, aber die Zeit für physische Treffen fehlt. Der nachfolgende – etwas gekürzte – E-Mail-Verkehr ist aus solch einer Not entstanden. Ein digitaler Quergang, den alle Beteiligten fruchtbar und inspirierend erlebt haben.
Franz Auinger:
Unsere Traditionsbetriebe sind ja oft nicht schlecht unterwegs. Kann es sein, dass sie in einem Glashaus sitzen, weil´s draußen dunkel ist, nichts sehen und glauben, die Welt (so wie sie sie im Moment aufgebaut haben) ist so ok und wird es auch bleiben?
Georg Sutter:
Ja, da ist schon etwas dran. Draußen tobt Sturm „VUCA“1 und Tief „Dynaxity“, am Horizont zieht das Gewitter der Digitalisierung auf, und drinnen im Warmen glauben noch viele Manager, dass sich das Geschäft mit den alten Verhaltensmustern schon richten lässt. Obwohl: in einer stillen Minute, im vertrauten Gespräch mit dem Berater sprechen sie dann doch darüber, dass sie eigentlich auch nicht wissen, wie das alles zukünftig zu schaffen ist.
Franz Auinger:
Gerade die mittlere Führungsebene fühlt sich nach Untersuchungen zu wenig von oben unterstützt und mit den Unsicherheiten und Drucksituationen alleine gelassen. Spannend ist dabei auch, dass offenbar die MitarbeiterInnen ihren Führungskräften nicht so recht zutrauen, dass diese die Herausforderungen aus der zunehmenden Digitalisierung und der Veränderung der Arbeitswelten bewältigen können.
In dieser angespannten Situation, den Unsicherheiten und auch sinkenden Zutrauens- und Wertschätzungswerten wachsen die psychischen Belastungen und Erkrankungen. Change und Resilienz von Menschen wird eine Dimension aufmachen bzw. verstärken, die die Organisationen und ihre Verantwortlichen vor neue Aufgaben stellen.
Georg Sutter:
Ich sehe nur mit Sorge, dass die Last zunehmend alleine beim Einzelnen abgeladen wird. Wenn ich heute immer wieder höre, dass die MitarbeiterInnen oder auch Führungskräfte mehr Selbstverantwortung übernehmen sollen, dann empfinde ich das vorsichtig ausgedrückt als unzulässige Verantwortungsverschiebung von oben nach unten – zumindest, solange nicht die Rahmenbedingungen so geschaffen werden, dass Selbstverantwortung etc. gelebt werden kann. Und das bedeutet ein konsequentes In-Frage-Stellen aller sozialer Systeme, Muster, Verhaltensweisen im Hinblick auf ihre Funktionalität in „anderen Kontexten“.
Franz Auinger:
Ich teile deine Sorgen, fürchte aber, dass viele der Unternehmenslenker aktuell auch mit der Frage der künftigen Rahmengestaltung überfordert sind. Es ist eine Transformation im Laufen, eine Reise ins teilweise Ungewisse. Wir kennen die „alte Welt“ und in vielen Bereichen, Märkten und Geschäftsfeldern kann man mit den bestehenden Geschäftsmodellen und überschaubaren Adaptionen (noch) ganz gut über die Runden kommen. Die Profitabilität ist vielleicht im Sinken, aber sie ist noch da.
Ein Schwenk in Richtung radikaler Innovationen birgt ein hohes Risiko und vor allem ein aktives, selbst-getriebenes Steuern in die „neue Welt“. Diese Zukunftsbilder und der Orientierungsrahmen dazu entstehen dann wirklich erst im Gehen. Für diese Übergänge verbindliche Leitbilder und Leitlinien zu schaffen, macht wahrscheinlich Sinn. Leitorientierungen, die den Kern des künftig Erforderlichen vorwegnehmen und damit auch die künftig erforderlichen Haltungen und Handlungen trainieren.
Das kostet aber Zeit und Geld, bindet Ressourcen und schwächt das bestehende Geschäftsmodell. Die Gratifikationssysteme sind aber meistens auf das Bestehende aufgebaut und werden ein Streben in eine wirklich andere, agile Richtung nicht oder nur bedingt unterstützen.
Letztlich bleibt dann ein double-bind: in die neue Zukunft denken und am Bestehenden festhalten. Die möglichen Risiken (und auch Chancen) sehen und zugleich mit Bewährtem Ergebnisse erzielen. Das ergibt eine ganz schöne energetische Anforderung für Führungskräfte und MitarbeiterInnen.
Unternehmerischer, pionierhafter Mut wäre gefordert, damit auch die Bereitschaft, ins (noch) Unbekannte zu investieren … da sehen die Rahmenbedingungen seit dem Finanz-Crash auch nicht unbedingt rosig aus …
Georg Sutter:
Ist das nicht genau die Aufgabe von Führung und Management, nämlich die Dilemmata der Unternehmensführung zwischen dem operativ Notwendigen und dem strategisch Sinnvollen zu managen? Wenn es diese Dilemmata nicht gäbe, bräuchte man ja letztlich keine Führung! Zugegeben, es ist schon eine besondere Situation und Herausforderung, im Zeichen von VUCA zu managen.
Dennoch bin ich skeptisch, inwieweit es reicht, aus dem bisherigen Verständnis heraus bzw. auf der Grundlage in der Vergangenheit erfolgreicher Verhaltensmuster der Komplexität und Dynamik zu begegnen. Das riecht mir zu sehr nach Fortschreiben der Vergangenheit in die Zukunft.
Deine Schlüsselworte im letzten Mail sind für mich dann auch eher pionierhafter Mut und Bereitschaft, sich dem Risiko des Unbekannten zu stellen. Ich glaube, dass Unternehmen gar keine andere Möglichkeit haben als parallel (zum Teil in „Sonderzonen“) zu experimentieren. Unternehmen wie GE mit hierarchielosen Fabriken machen es vor! Spannend wäre es mal auszuloten, wo sich auch in etablierten Unternehmen Experimentierfelder etablieren lassen – ich meine damit nicht nur auf der technologischen Seite, sondern im Zuge der Digitalisierung auch soziale Innovations- oder Experimentierfelder in Bezug auf das Zusammenwirken in den Unternehmenssystemen.
Franz Auinger:
Die Dilemmata managen … ja, das ist die zentrale Aufgabe, die strategische und normative Ebene so zu steuern, dass auf der operativen Ebene möglichst eigenverantwortlich, effektiv und effizient gearbeitet werden kann. In der VUCA-Welt haben wir es halt mit einer besonderen Dynamik zu tun, die zumindest für die heute am Ruder stehenden Führungsgenerationen viel Neuwertiges mit sich bringt.
Selbst wenn jemand aufgrund seiner Biografie, seiner Sozialisierung, seiner Skills und Haltungen ausreichend gut aufgestellt ist, erleidet er oft die Zwänge der laufenden Modelle und Muster: historisch erfolgreiche und noch immer gültige Steuerungs- und Kontrollmechanismen, Ablaufroutinen und Anreizsysteme.
Das würde natürlich umso mehr dafür sprechen, die Muster radikal zu brechen, sie im Wesentlichen zu ändern. Nur wer hat den Mut, die Kompetenz und vor allem auch die Autorisierung dafür? Wer hat das Standing, die dann ausgelösten Dynamiken auch nachhaltig durchzustehen? Wie gelingt es, die mächtigen und relevanten Stakeholder des Systems in eine verbindliche, kooperative Haltung zu bringen, die sich nicht rasch durch die Unberechenbarkeiten und Verunsicherungen des Umfeldes verstören und irritieren lässt, wodurch wiederum Blockaden und Begrenzungen aufgebaut würden?
Deine erwähnten Sonderzonen in traditionellen Unternehmen erinnern mich an Kotters Ansatz eines „dualen Betriebssystems“. Die Idee, neben der klassischen Hierarchie im angestammten Geschäft kräftige autonome Netzwerkstrukturen für klar fokussierte Bereiche einzurichten und zu befähigen, scheint mir, gerade für tradierte, erfolgreiche Unternehmen, ein viel versprechendes Experimentierfeld. In dem Kraftfeld, das sich zwischen den Modellen entwickelt, kann eine gewaltige komplementär-antagonistische Energie entstehen, ein wesentlicher Treiber der Transformation.
Es gibt da ja auch schon erfolgreiche Beispiele, die dazu ermutigen, der radikalen Innovation in diesen neuen, noch sehr schwer abschätzbaren und damit unsicheren Zeiten ein Format zu geben, ohne das Bestehende zu gefährden.
Ich werde da jetzt mal Michael fragen, wie er das sieht. Er beschäftigt sich ja zur Zeit sehr intensiv mit dem Thema der Innovation …
Michael Auinger:
Die Glashausmetapher ganz am Anfang gefällt mir – um einen Blick nach draußen zu erhaschen, muss man sich entscheiden, welche Türe man öffnet und damit trifft man schon zu einem gewissen Grad eine Vorentscheidung, was man zu sehen bekommt. Gleichzeitig hat das eigene Spiegelbild/die Grenze zur dunklen Umwelt auch die Funktion, das System zusammen zu halten.
Die „Sonderzonen, in denen Experimentieren erlaubt ist”, halte ich für extrem wichtig und wahrscheinlich wird es immer beides brauchen – „gemäßigte”, inkrementelle Innovationen, die planbar und einschätzbar sind und damit auch Überschussressourcen für radikalere Ideen, die mit unbekannten Produkten in unbekannte Märkte vorstoßen, generieren können. Gerade bei radikalen Innovationen versagen Stage-Gate-Prozesse & Co, weil sie dann doch zu strukturiert und bürokratisch sind und aufgrund ihrer komplexitäts- und risikoreduzierenden Mechanismen oftmals genau jene radikale Innovation frühzeitig abdrehen, die Jahre später das Überleben des Unternehmens gesichert hätte.
Um zur Glashausmetapher zurückzukehren: Es braucht viele Türen nach draußen und Personen in der Organisation, deren Job es ist, diese Türen zu öffnen und nachzusehen, was dort zu finden ist. Wenn es dieselben Personen sind, die tief im System bereits Bestehendes leicht weiterentwickeln, dann benötigt es wahrscheinlich zeitliche Cuts, wellenartige Fokusse nach innen und dann wieder nach außen, um dem jeweiligen Bereich die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die nötig ist, damit das Wissen auch integriert werden kann.
Andererseits könnte es relativ unabhängige Personen geben, die wie Pioniere vor ihren Türen Ausschau halten, ein paar Schritte in die Dunkelheit tun und dabei mit anderen Pionieren an anderen Fronten (an Fronten/Türen der eigenen Organisation, aber auch mit Pionieren anderer Organisationen, die man in der dunklen Umwelt kennengelernt hat) in regelmäßigem Austausch stehen, Erfahrungen berichten und verschiedene Eindrücke zu neuen Ideen kombinieren.
Damit verschwimmt aber die Organisation-Umwelt-Grenze für sie immer mehr. In der Organisation selbst stark verankerte Partner mit hoher intra-organisationaler Legitimation/Akzeptanz und starken Netzwerken sind daher wichtig, um neue Ideen der Pioniere wirksam im Glashaus zu verbreiten.